Fabelhafte Welt: Wie wir den Toten gedenken

Jeder muss selbst herausfinden, wie wir gedenken möchten. Mein Weg ist zu schreiben.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Für die Recherche zu meinem letzten Roman las ich Regalmeter darüber, wie verschiedene Kulturen ihrer Toten gedenken. Mir zeigte sich, dass es hinsichtlich des Wie kein richtig und kein falsch gibt. Nur einen Fehler kann man machen: sich dem Erinnern zu verweigern. Die römische Literatur kennt viele Geschichten, dass Verstorbene als gute Geistergestalten zurückkommen können, um ihren Lieben die Zukunft zu prophezeien, wenn diese anständig gedenken. Verweigern sich die Hinterbliebenen jedoch der Erinnerung, werden diese Geistergestalten unwirsch. Diesen Mythen liegt zweifelsohne ein wahrer Kern zugrunde. Blockiert man, sich mit der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen, kann einen das nachts als Albtraum, als unterdrückte Angst, als Aufschrei aus dem Unbewussten um den Schlaf bringen. Behält man jedoch im eigenen Leben Platz für die, die nicht mehr sind, können sie uns als „gute Geister“ begleiten, uns sogar den Weg weisen.
Jeder und jede von uns muss dabei selbst herausfinden, wie wir gedenken möchten. Ich merkte, meine Form des Andenkens sind nicht Friedhofsbesuche, sondern über meine Verstorbenen zu schreiben und zu erzählen. So schrieb ich auch immer wieder über meine verstorbene Großmutter, und auf einen dieser Texte hin meldete sich vor drei Jahren plötzlich ein alter Bekannter, ein süditalienischer Spatzi-Doktor mit gegeltem Haar und weit aufgeknöpftem Hemd, den ich beim Fortgehen kennengelernt, aber keineswegs als Paarungsmaterial betrachtet hatte. Lange hatten wir nichts miteinander zu tun gehabt, bis ausgerechnet meine verstorbene Oma sozusagen den Kontakt wiederherstellte. Mittlerweile sind wir über ein Jahr glücklich verheiratet. Oder wie es die alten Römer erzählen: Halten wir unsere Verstorbenen im Andenken lebendig, können sie uns Wege in die Zukunft aufzeigen, die wir so nicht gesehen hätten.

vea.kaiser@kurier.at

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