Fabelhafte Welt: Von Mantras, Zaubersprüchen und dem Verschreien

Wie man die Welt verhexen möchte, damit sich alles ausgeht, sie sich aber nicht verhexen lässt
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Ab einem gewissen Zeitpunkt hat fast jede schwangere Frau ein Mantra, das sie sich tagein tagaus vorsagt. Eine Freundin, die ab Woche 30 nimmer wollte, sagte sich gebetsartig: „Das hier hat ein Ende und wird nie mehr wiederholt.“ Eine andere Freundin mit großer Geburtsangst beruhigte sich mit dem Satz: „Ich kann, weil ich will, was ich muss.“

Meine letzten Schwangerschaftswochen waren geprägt von Baustoffkrise, Transportverzögerungen und Handwerkermangel. Der Einzug ins neue Haus verschob sich immer weiter nach hinten, sodass es zu einem Wettrennen kam. Wer wird früher fertig, das Kind oder das Haus? Dementsprechend lautete mein Mantra: „Es wird sich alles ausgehen.“

Ich blieb entspannt. Als zwei Wochen vor Geburtstermin die Mietwohnung gekündigt und zu 80 % in Kisten verpackt war, das Haus jedoch fern von bewohnbar, wurde mein Mann nervös. Er träumte von in Umzugskartons verloren gegangenen Säuglingen, war äußerst angespannt, also zwang ich ihn zu einem langen langen Spaziergang. Dabei repetierte ich alle zehn Minuten: „Es wird sich alles ausgehen.“ Ich glaubte daran, dass man einen Satz nur oft genug wiederholen muss, damit er wahr wird.

Meinen Mann beruhigte das nicht. Er glaubte nämlich, dass man Dinge verschreien kann, wenn man sie zu oft wiederholt. Ein paar Stunden später stellte sich heraus: Er hatte Recht. Kurz vor Mitternacht platzte die Fruchtblase. Im Krankenhaus Kreise laufend reflektierte ich die Gesamtsituation: Das Kind war am Weg, das Haus nicht fertig, die Wohnung schon so weit zum Auszug vorbereitet, dass man dort nicht mehr mit einem Säugling leben kann – das ging sich nicht aus. 22 Stunden später hielten wir unseren Sohn in den Armen. 3.660 g, 51 cm, kohlschwarzes dichtes Haupthaar, pumperlgesund. Und plötzlich war völlig egal, dass wir quasi obdachlos waren: Es geht sich alles aus.

vea.kaiser@kurier.at

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