Fabelhafte Welt: Muskelspiele

Sollte man lieber den Körper oder das Gehirn trainieren? Betrachtungen im Fitnessstudio.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

In meinem Fitnessstudio gibt es junge Männer, in deren Leben es nicht viel mehr zu geben scheint als das Fitnessstudio. Sie „pumpen“ von früh bis spät, trinken gemeinsam isotonische Sportgetränke und schlagen dort die Zeit tot. Ich finde das ja besser, als vor dem Fernseher herumzuhängen, aber trotzdem versuche ich ihnen zuzuflüstern, dass auch das Gehirn ein Muskel ist, den man trainieren sollte. Ich kann natürlich nix vollbringen, woran schon das österreichische Bildungssystem neun Jahre lang gescheitert ist. Doch neulich, als ich mit dem besonders aufgepumptem R. sprach, da versuchte ich ihn mit aller Kraft zum Lesen zu motivieren. R. nämlich hinkte. Er hatte sich Anabolika in den Popsch gespritzt – was schiefging, weswegen er nun schief ging. „Lies doch lieber mal ein Buch!“, sagte ich, und um ihm die Macht von Geschichten näherzubringen, erzählte ich ihm von einem Sportgegenstand: „Vor Kurzem tauchte ein amerikanischer Abenteurer mit einem U-Boot auf den Grund des Marianengrabens. Er hatte einen Eispickel dabei, mit dem er zuvor schon am Mount Everest gewesen war. Der Eispickel wurde dadurch zum ersten Gegenstand, der sowohl am höchsten als auch am tiefsten Punkt der Erde war. Museen bieten nun sehr viel Geld für diesen Eispickel, obwohl er sich weder durch die Höhe noch die Tiefe verändert hat. Seine Geschichte macht ihn wertvoll!“ R. sah mich verständnislos an. Ich seufzte: „Außerdem macht Lesen kreativ. Dann fallen dir auch bessere Erklärungen ein, warum du hinkst. Zum Beispiel, dass du ein Kätzchen vor einem wilden Kampfhund gerettet hast, dabei über einen hohen Zaun hechten musstest und dir so den Muskel gezerrt hast. Kommt sicher besser bei den Mädels.“ R. nickte anerkennend. „Das hat swag!“, sagte er. „Was?“, fragte ich. „Lies nach!“, sagte er. Und ich stimmte zu. Denn niemand kann je genug lesen.

vea.kaiser@kurier.at

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