Fabelhafte Welt: Kenne deinen Feind!
Diejenige meiner Kolumnen, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, letztes Jahr am meisten bewegt hat, befasste sich mit Lebensmittelmotten. Das hat mich sehr beruhigt: Ich bin nicht allein. Drei Viertel der Österreicher litten oder leiden immer wieder an dieser Satansbrut. Und das andere Viertel hat fix keine Lebensmittel zuhause.
Meine Motten-Invasion war so grauslich, dass ich diesen Biestern den Krieg erklärte. Caesar, Cato oder Montecucculi: die Geschichte lehrt, dass Schriftsteller auch gute Feldherren sind. Ich bewaffnete mich mit Mundschutz und Gummihandschuhen für den „Bellum cum Ephestia kuehniella“. Zuerst kam es zu einer offenen Schlacht, bei der ich alle erschlug, die ich erwischte und dann in der Toilette seebestattete.
In der zweiten Phase vernichtete ich ihre Stellungen, indem ich die Kästen ausräumte und alle Ritzen, Löcher sowie Scharniere mit Essigwasser auswischte. Wattestäbcheneinsatz inklusive.
Dann unterbrach ich ihre Nahrungsversorgung durch Umfüllen von allem Essbaren in vakuumverschließbare Gläser.
Als nächstes siedelte ich ihre ärgsten Erzfeinde an: Schlupfwespen. Winzige Nützlinge, deren Leibgericht es ist, Mottenlarven von innen aufzufressen.
Daraufhin nahm ich die Überlebenden, die sich in den Leinsamen versteckten, in Gefangenschaft. Ich sperrte sie in ein Glas, sodass ich sie beobachten konnte, um zum Schluss die Maxime des chinesischen Feldherrn Sunzi zu befolgen: „Kenne deinen Feind“.
Die Chinesen waren bekanntlich auch nicht schlecht im Kriegführen. Die vergangenen Monate nun habe ich sie studiert, ihre Bewegungen, ihr Fressverhalten, ihre Verpuppungen. Mit dem Ergebnis, dass sie mich so sehr faszinieren, dass ich mit dem Gedanken spiele, sie freizulassen. Die größte Wahrheit über den Krieg ist halt doch, dass er vor allem eines ist: sinnlos.
vea.kaiser@kurier.at
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