Fabelhafte Welt: Familienbesuche in Süd-Italien
Nach den
Flitterwochen bestand meine erste Amtshandlung als Süditaliener-Gattin darin, die neapolitanische Familie besser kennenzulernen. Ich dachte ja, ich wäre durch meine laute, große niederösterreichische Familie gut darauf vorbereitet, doch abermals erkannte ich: Auf Napolitani kann dich nichts vorbereiten. Beim Ankommen umarmten mich die Verwandten nicht wie ein neues Mitglied, sondern wie die nach einem Flugzeugabsturz lang auf einer einsamen Insel verschollene Schwester. Nachdem ich alle Nuancen von dunkelrotem bis pinkem Lippenstift auf den Wangen hatte, schritten wir zu zwanzigst zu Tisch, das Lokal wurde drei Mal umgebaut, bis alle Erwachsenen saßen, für die Kinder gab es keine Plätze, denn Kinder können ohnehin nicht still sitzen. Unzählige Teller mit Sfizi, kleinen neapolitanischen Spezialitäten, wurden nacheinander auf den Tisch getragen, die größeren Kinder fuhren mit den kleineren als Fracht Kinderwagen-Wettrennen durch einen Parcours an Kellnerbeinen, die Erwachsenen ließen sich nicht davon beirren, sondern unterhielten sich, was für Süditaliener bedeutet, dass alle reden und je nach Wichtigkeit mehr oder weniger heftig dazu gestikulieren. Wir sprachen über Essen und Liebesgeschichten, kein einziges Mal über Arbeit oder Beruf, und zum Abschied meinten alle, sie freuten sich so sehr auf unsere Kinder, was mich überraschte, denn ich war es bisher gewohnt, höchstens zögerlich gefragt zu werden, ob wir überhaupt Kinder wollten. In dieser Nacht hatte ich furchtbare Kopfschmerzen von Lautstärke und Durcheinander, mein Magen tat weh, weil mich Essen-und-dabei-ununterbrochen-Reden überfordert hatte, aber gleichzeitig war ich berührt von dieser Herzlichkeit. Denn wie oft erlebt man das noch, dass es Menschen egal ist, wer du bist oder was du hast, sondern sie sich einfach freuen, dass es dich gibt.
vea.kaiser@kurier.at
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