Fabelhafte Welt: Ein Fachmann der Gelassenheit
Eigentlich sollte nicht ich diese Kolumne verfassen, sondern mein Fachmann für das gute Leben. Ich wohne nämlich mit einem Guru des Genießens zusammen, von dem ich viel lerne. Es beginnt beim Aufstehen. Während ich mich im Bett wälze, begibt er sich auf den Boden und streckt sich in alle Richtungen, um gut gedehnt den Morgen willkommen zu heißen. Ich blicke beim Kaffee auf den Terminkalender, hoffend, ihn leer vorzufinden. Er hingegen begegnet jedem Tag mit euphorischer Offenheit, gespannt, was er zu bieten hat. In jeder Unternehmung sieht er das Potenzial, den größten Spaß aller Zeiten zu verleben oder wertvolle Erfahrungen zu machen. Egal, was es zu essen gibt, er will es probieren. Allen Menschen und Tieren begegnet er ohne Vorurteile, dafür mit großer Freude. Und diese Einstellung bewundere ich, denn ist das Leben nicht viel leichter, wenn man ihm mit offenen Armen entgegentritt? So nämlich bekommen auch die kleinen Dinge die Chance, uns zu verzaubern. Ich versuche das nun ähnlich zu halten. Sehe ich Nachbarn, bin ich neugierig, was sie mir zu erzählen haben, anstatt mit gesenktem Kopf vorzugeben, sie nicht gesehen zu haben. Das Wort „Stress“ habe ich mir verboten, versuche mich stattdessen zu freuen, zu tun zu haben. Muss ich warten, nutze ich die Zeit, um meine Umgebung bewusst wahrzunehmen.
Denn das hat mich mein Genuss-Guru gelehrt: Alles kann interessant sein, wenn wir uns dafür interessieren. Die exzentrischen Schuhe fremder Menschen, ein besonders saftiges Stück Wiese, die Gangart einer Taube, im Wind wirbelnde Plastiksackerl, man muss nur der Welt erlauben, uns zu begeistern. Wenn ich so darüber nachdenke, eigentlich sollte er einen Ratgeber verfassen, wie man aus gewöhnlichen Dingen das große Glück herausholt.
Nur schade, dass mein Hund nicht schreiben kann.
vea.kaiser@kurier.at
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