Fabelhafte Welt: Dreißig ist das neue Zwanzig?

Wie alt jemand ist, ist immer eine Frage der Perspektive. Aber das Gefährlichste am Älterwerden ist die „Drittel-Life-Crisis“ und das Thema Fortpflanzung.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Ich erinnere mich gut daran, dass mir vor gar nicht allzu langer Zeit Dreißigjährige „uralt“ vorkamen. Aber ebenso rätselte ich vor längerer Zeit im Jungscharlager mit den anderen Achtjährigen, wie man bloß so steinalt werden könne wie die Jungscharlager-Betreuer: diese waren zwischen rostigen Sechzehn und biblischen zwanzig Jahren alt.
Bis auf den Umstand, dass mich Jüngere krampfhaft siezen und ich nach exzessivem Fortgehen mindestens ein ganzes Wochenende zur Regeneration brauche, kann ich der Dreißig nur Positives abgewinnen. Man wird ruhiger und gelassener: Nicht jede Kleinigkeit lässt einen himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt zurück. Wenn nicht irgendetwas schief gegangen ist, hat man sich vom Rockzipfel der Erzeuger emanzipiert. Man weiß, wer man ist, kann die eigene Sozialversicherungsnummer im Schlaf runterbeten und auch wenn man nicht mehr in der Lage ist, Hundepfeifen oder ähnlich hohe Frequenzen zu hören, oder in Neuseeland kein Working-Holiday-Visum mehr bekommt, so könnte man theoretisch über eine Karriere als Papst nachdenken und sich darauf einstellen, bald Höchstleistungen auf dem Gebiet der Musik abzuliefern. Man empfindet den Körper weiterhin als Vergnügungspark zum Spaßhaben und noch nicht als einen Tempel, der nach demütiger Verehrung verlangt, wenngleich man langsam spürt, dass er gelegentlich gewartet werden muss, Einzelteile kaputt gehen können und es keine lebenslange Garantie gibt. Aber Gott sei Dank nur gelegentlich und meistens beim Zahnarzt.
In meinem Freundeskreis hat sich übrigens die Ansicht durchgesetzt, dass diejenigen, die sich am meisten über unsere Dreißiger gefreut haben, unsere Zahnärzte waren. Als wir am Tag nach unseren Geburtstagen telefonierten, waren wir übrigens alle hellauf erleichtert, dass die Ziffer 3 zu Beginn der Altersangabe  über Nacht weder weiße Haare noch sonstige merklichen Veränderung verursacht hatte.
Erst im Laufe des Jahres entwickelten einige meiner Freunde erste Symptome von etwas, das ich als „Drittel-Life-Crisis“ diagnostiziert habe: Sie stellten plötzlich ihre jahrelang glückliche Beziehung in Frage oder legten gravierende Unzufriedenheit mit dem Traumjob an den Tag, für dessen Erlangen sie sich in der vorherigen Dekade doch so sehr ins Zeug gelegt hatten. Mit 30 kommt man zudem nicht umhin, das Thema Fortpflanzung zu überdenken – vorausgesetzt das hat man nicht schon erledigt. Denn für Frauen wird das Schwanger-Werden ab jetzt nicht mehr leichter, und Männer müssen sich entscheiden, ob ihnen Ballspielen und Skifahren mit dem Nachwuchs wichtig ist, oder sie auch Besuche beim Orthopäden und Urologen als gemeinsame Freizeitaktivität reizvoll finden.
Man spürt halt, dass man nicht mehr an der Kreuzung, sondern schon mitten auf dem Lebensweg steht. Und darüber sollte man frohlocken, anstatt mit T-Shirts herumzulaufen, auf denen „Dreißig ist das neue Zwanzig“ steht. Denn mit der Einstellung lebt man schlicht in der Vergangenheit und verbaut sich die Chance, in die Zukunft zu blicken, und die Gegenwart in vollen Zügen zu genießen.

vea.kaiser@kurier.at

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