Fabelhafte Welt: Die Morgengabe

So macht sich ein Chef beliebt.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Neulich rief der Primarius jener Chirurgie, auf der mein Dottore Amore zurzeit arbeitet, Selbigen zu sich. „Dottore! Wir müssen uns über eine ernste Sache unterhalten!“ Dem Dottore Amore rutschte das Cuore in die Hose. „Meine Assistenzärzte vergessen immer, ihren Gattinnen eine Morgengabe für den Tag nach der Hochzeit zu besorgen. Aber ich rette Ehen, noch bevor sie geschlossen wurden! Also denken Sie daran!“ Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht gewusst, was eine Morgengabe ist, beziehungsweise dass es das heutzutage überhaupt noch gibt. Doch als mir der Dottore Amore davon erzählte, freute ich mich irrsinnig über die bedachte Freundlichkeit seines Vorgesetzten. Es ist selten, dass sich Menschen solche Gedanken um das Wohl anderer, ihnen unbekannter Personen machen. Doch der Chef-Dottore legte nach. Bei der Durchsicht der Urlaubsanträge nämlich stellte er fest, dass mein Dottore Amore rund um unsere Hochzeit nur eine Woche Urlaub beantragte, weil er dem Krankenhaus nicht zu lange fehlen wollte. Woraufhin sich der Chef höchstpersönlich an den Computer setzte, um mir eine E-Mail zu schreiben. „Ein ermatteter Dottore kann in der Hochzeitsnacht nicht die Leistung erbringen, die man von ihm erwartet“, erklärte er mir. „Und gut für die Chirurgie ist er auch nicht. Also sagen Sie ihm, er soll sich mehr Urlaub nehmen, und dann viel Spaß.“ So kamen wir zu Flitterwochen. Die alten Griechen glaubten, dass die Götter menschliche Gestalt annehmen können, um den Sterblichen in Krisensituationen beizustehen. Langsam hege ich die Vermutung, der Liebesgott Eros reinkarnierte sich im Jahr 2018 als täglich Menschen aufschneidender, regelmäßig mit Blut und Eiter bespritzter, und von einem Hauch Desinfektionsmittel umgebener Chef meines zukünftigen Mannes. Da kriegt die Phrase Götter in Weiß gleich eine neue Bedeutung.

vea.kaiser@kurier.at

Kommentare