Fabelhafte Welt: „Das schaffst du, nur schrei halt nicht so viel.“
Mein Dottore Amore hat zwei Ängste: Höhen und Ablaufdaten. Er liest nicht mindestens haltbar bis, sondern sofort tödlich ab.
Weil er zuweilen unseren Kühlschrank zwangsräumt und unaufgefordert den Müll runterbringt, um meinen inneren Waschbär zu verhindern, versuche ich ihn seit Jahren mit Verkostung hervorragender Lebensmittel, die ihren Zenit angeblich überschritten haben, zu „heilen“. Doch wann immer ich ihn von dieser Angst kurieren will, hat er, der als guter Gastro-Bub eigentlich ein braver Esser ist, zufälligerweise nie Hunger.
Seine Höhenangst hingegen respektiere ich. Damit bin ich allerdings die Einzige. Sein Trauzeuge wollte mit ihm Fallschirmspringen, der Onkel Hochgebirgshängebrücken überqueren – er blockte alle Versuche der Höhenversöhnung ab. „Der Mensch lebt gut am Boden!“, sagte er.
Doch die Kehrtwende kam in Gestalt seines liebsten OP-Pflegers. Dieser nämlich verlegte den Ausflug der urologischen Abteilung in einen Waldseilpark, auf dass man gemeinsam durch die Wipfel klettere. Mit viel Frischluft als auch Abstand, zueinander wie zum Boden. Von sowas träumt mein Mann – in seinen schlimmsten Höllenvisionen. Dennoch entschied er, dem Abgrund ins Auge zu sehen. Sein liebster OP-Pfleger und er hatten zusammen schon so viele Beschneidungen durchgeführt, das verbindet! Zur Vorbereitung ging er noch mit dem Neffen in den Prater. Unser völlig furchtloser, siebenjähriger Höhen-Experte folterte ihn auf diversen Achterbahnen und attestierte ihm danach die Kletterreife: „Zio, das schaffst du, nur schrei halt nicht so viel.“ Und tatsächlich: Er bewältigte sogar den schwarzen Kletterparcours! Er platzte vor Stolz und ich vor Glück: Mit den richtigen Menschen kann man alle Ängste überwinden.
Es gibt also noch Hoffnung für meinen Göttergatten, mich und unsere angeblich abgelaufenen Lebensmittel.
vea.kaiser@kurier.at
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