Fabelhafte Welt: 150 Tonnen

Karl Lagerfeld wurde viel gerühmt, doch auf eines hat man vergessen.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Weniger Menschen Tod hat so viele Nachrufe inspiriert wie der von Karl Lagerfeld. Von seinen Verdiensten um die Mode bis hin zur Haarlänge seiner Katze wurde alles beschrieben, doch ein Aspekt wurde kaum gerühmt: Karl Lagerfeld war einer der größten Bibliophilen unserer Zeit. Wussten Sie, dass seine Bibliothek über 300.000 Exemplare umfasste? Eine Anzahl, bei der sich die Frage erübrigt, ob der Besitzer sie auch alle gelesen habe. Um so eine große Bibliothek zu erwerben, muss man über 50 Jahre hinweg 16 Stück pro Tag erstehen. Geht man davon aus, dass das duchschnittliche Buch um die 50 dag wiegt, beherbergte Karl Lagerfeld zirka 150 Tonnen Bücher. Mindestens. Denn in seiner Sammlung befanden sich neben Essays und philosophischen Sachbüchern ausnehmend viele Bildbände. Bücher sammeln um des Sammelns willen kommt leider aus der Mode. Stattdessen halten sich Ratgeber in den Bestseller-Listen, die vom Ausmisten predigen und eine sehr kleine, sehr viel lächelnde Japanerin namens Marie Kondo inspiziert auf Netflix die Häuser fremder Menschen, um alles, was überflüssig ist, auszumisten. Das mag seine Berechtigung haben in unserer verrückten Konsumgesellschaft, in der Leute Kleidungsstücke kaufen, die sie einmal tragen, oder Elektro-Klumpert, das die Verpackung überhaupt nie verlässt. Doch Bücherregale sollten vor der Ausmist-Wut verschont bleiben. Denn Büchersammlungen sind immer auch Möglichkeiten. Wir wissen nicht, was uns in der Zukunft erwartet. Und daher wissen wir auch nicht, ob uns unsere Bücher eines Tages trösten oder Rat schenken, verzaubern oder glücklich machen werden. Viele Nachrufe erwähnten das berühmte Lagerfeld-Zitat: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Was noch hinzuzufügen wäre, ist: Wer keine Bücher hortet, kann die Kontrolle über sein Leben erst gar nicht erlangen.

vea.kaiser@kurier.at

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