Der Pfarrer trägt Rot. Ich sehe Rot. Im Supermarkt.

Ausgerechnet der strengste Fastentag des Jahres ist Großkampftag im Lebensmittelhandel.
Simone Hoepke

Simone Hoepke

Wien hat mehr als 1,8 Millionen Einwohner. Seitdem ich zur Unzeit im Supermarkt war, habe ich eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Menschen das sind.

Ohne den Opfern von Krieg und Terror nahe treten zu wollen – das sind kriegsähnliche Zustände, die sich da abspielen. Offenbar stehen wir kurz vor einer Hungersnot. Oder einer Hyperinflation. Der Hysterie im Laden nach zu schließen, steigen die Preise ab nächster Woche um mindestens drei Trillionen Prozent. Oder ab Montag gibt es überhaupt keine Lebensmittel mehr, weil Außerirdische alle Felder und sämtliche Tierbestände der Welt entführt haben, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen. In jedem Fall scheine ich es hier mit einem Jahrtausendereignis zu tun zu haben.

Es handelt sich um den Karfreitag. Ausgerechnet der strengste Fastentag des Jahres ist Großkampftag im Lebensmittelhandel. Noch mehr Einkaufssackerl schleppen die Menschen nur am letzten Verkaufstag vor Weihnachten nach Hause.

Sinnbildlich für das vergossene Blut Jesu trägt der Pfarrer am Karfreitag Rot. Ich sehe Rot im Supermarkt. Überall Prozente, Multipack-Aktionen. Für Menschen, die mit einer handelsüblichen Portion Gier ausgestattet sind, ist das eine ähnliche Prüfung wie für einen Dackel der Besuch einer Wurstfabrik. Ich dränge mich durch die Gänge, vorbei an mannshohen Aktionsständern. Greife zu einem Schokohasen, den ich nie haben wollte. Für das Patenkind. Es ist sechs und will ihn sicher haben. Star-Investor Warren Buffett hat gesagt, dass statistisch gesehen die Sterberate bei Sechsjährigen am geringsten ist. Deswegen ernährt er sich jetzt wie ein Sechsjähriger. Trinkt jeden Tag Cola und isst Eis. Cola gibt es im Angebot, Eis auch. Ich nehme beides. Dazu eine Flasche Weißwein.

Bis ich an der Kassa bin, ist der Einkaufswagen voll. Ich fasse einen Fastenvorsatz für nächstes Jahr: keine Aktionen kaufen, speziell in der Karwoche.

Wäre ein Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung.

Angeblich landet jedes sechste Osterei nach dem Fest im Müll.

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