Das Lobdefizit

Das Lobdefizit
Klaus Eckel über "fishing" und "compliments",

Vor Kurzem fotografierte ich einen jungen Mann, der einen 10 kg schweren Wels in seinen Armen hielt. Er zog ihn aus einem Schotterteich. Danach warf er den Wels wieder ins Wasser. Der Angler erklärte mir, dass die meisten geangelten Fische nicht mehr in der Pfanne landen, sondern auf Instagram. Wahrscheinlich gibt es in Österreichs Seen bereits Saiblinge mit einer eigenen Onlyfans-Page und so mancher Waldviertler Karpfen hat inzwischen mehr Follower als die niederösterreichische Landeshauptfrau. Doch die Sinnhaftigkeit hinter der modernen Angler-Dreifaltigkeit, Fischen, Fotografieren, Freilassen, wird mir ein Rätsel bleiben. Vermutlich nimmt auch unter den Fischen die Furcht vor jedem Angelhaken ab. Schließlich handelt es sich nur um einen Fotojob. Der moderne Angler betreibt in sozialen Netzwerken fishing for compliments und sucht damit das Gleiche wie Cookies und AGBs. Bestätigung.

Mir fällt auf, dass sich auch immer mehr technische Geräte bemühen, das menschliche Anerkennungsbedürfnis zu befriedigen. Nachdem ich mich mehrmals hintereinander im Bett wälzte, erschien auf meiner Fitness-Uhr die Nachricht: „Gratuliere! Neuer Bewegungsrekord!“. Selbst mein Spanisch-Sprachkurs-App lobt mich unentwegt: „Toll gemacht. Noch 100 Vokabeln und du verstehst die Texte von Enrique Iglesias“. Diese Perspektive hemmt jetzt meinen Lernfortschritt. Nach einer Probefahrt mit einem Elektroauto poppte am Display die Meldung auf: „Great Driver! 98 von 100 Driving Points!“. Ich muss zugeben, dass mich die zwei Punkte Abzug tatsächlich kränkten. Ich lebe also in einer Welt, in der ich von meinem Auto gemocht werden möchte. Vermutlich werde ich mein allerletztes Lob wieder nicht von einem Menschen, sondern von meinem Grabstein erhalten: „Fantastisch. Sie haben ihr Ziel erreicht!“.

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