Chaos de Luxe: Wider den #nofilterneeded-Idyllenterror
Soziale-Medien-Detox auf Sri Lanka. Tag drei. Ich will mein Leben ohne „Wie vielen gefällt das“-Nervosität zurück. Insta-Askese auch aus Empathie gegenüber den Mitbürgern. Ja, die Sonne ist punschkrapfenrosa, wenn sie abends ins Meer plumpst. Und, Überraschung, die Menschen hier haben gute Laune, weiße Zähne und können oft aus Obst verzaubernde Schnitzarbeiten herstellen. Aber der digitale Anstand gebietet, diesbezüglich den Ball flach zu halten. Ich finde es nämlich selbst extrem enervierend, wenn ich grau und zerknüllt am Schreibtisch sitzend und an alten Nüsschen kauend, ständig mit #nofilterneeded-Idyllenterror im exotischen Ambiente bombardiert werde. Vielleicht noch mit einer süffisanten Unterzeile à la „Und ihr so?“ oder „Womit haben wir das verdient?“ Solche Anmerkungen wollen doch in Wahrheit nichts anderes sagen als: „Seht nur alle her, ihr traurigen Beutelratten, was ihr vergleichsweise für ein erbärmliches Leben habt!“ Ein fünfzehnjähriges Supernerd-Kid mit einem IQ von 160 und kaum Spielgefährten hat mir unlängst erklärt, dass nichts größere Rückschlüsse auf den Verzweiflungsgrad von „digital migrants“ zulässt, als ein Hashtag-Schwanz an Banalitäten. Uncooler wird's da nicht mehr. Got it, Nerd-Prinzessin. Ich nütze meine Zeit lieber produktiv und mache auf Literatur-Kommissar. 100 Prozent Frust. Die Menschen an meinem Strand lesen nichts anderes als Donna Leon, Dan Brown, Jojo Moyes, Nicholas Sparks oder irgendwelche „Du schaffst das“-Fibeln. Junkfood für das Hirn, wohin das Auge schweift. Ich träume davon, ihnen Strafzettel mit Leserverordnungen von Flaubert, Tolstoi, Roth (Joseph und Philip) und Balzac auszustellen, denke aber dann an den klugen Satz eines belgischen Politikers, der wusste: „Dummheit ist die sonderbarste aller Krankheiten. Denn der Kranke leidet niemals, sondern immer nur die anderen.“ Auch das muss man 2020 verlernen.
„Nymphen in Not“: 11. 2. auf Burg Perchtoldsdorf. Mit Ulrike Beimpold & Petra Morzé.
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