Chaos de Luxe: Unter Katastrophilen

Über Menschen, die das Elend lieben
Polly Adler

Polly Adler

Kennen Sie auch solche Katastrophen-Junkies? Also Menschen, denen immer alles erdenklich Schlimme zustößt. Oberste Regel: Solche sollte man bloß nie mit der kleinen Höflichkeitsfloskel „Wie geht's denn so?“ hoch hutschen. Denn dann folgt eine Suada wie: „Frag’ mich bloß nicht! Stell dir vor: voller Reflux-Alarm. Champagner und ich – aus und vorbei. Magenkrämpfe, Sodbrennen you name it.“ – An dieser Stelle fällt mir immer die einst so lustige Fürstin Gloria von Thurn und Taxis ein, die den Weltenlauf einmal mit der Weisheit bereicherte: „Man hat kein Sodbrennen, man hat höchstens Jagdverletzungen.“ Der echte Katastrophen-Junkie ist jedoch mit so einer Reflux-Null-Meldung gerade einmal erst warm geworden: Jetzt geht es dann richtig los mit existenzerschütternden Schicksalsschlägen wie Migräneattacken, Renovierungsarbeiten in der verfluchten Nachbarwohnung, enervierende Auftraggeber, Kreditkarten-Hacker, die in Rimini Bootsmotoren kauften, zwischengeschlechtliche Kälte, weil ein Lebenspartner mit dem Einfühlungsvermögen eines Pantoffeltiers, und gestern am Markt keine satisfaktionsfähigen Artischocken bekommen. Und richtig hart wird es dann, wenn man nach einem solchen Klagelied einen leicht ironischen Dur-Akkord ins Spiel bringt à la „Jetzt stehe ich aber wirklich unter Artischock“ oder „First World Problems, darling“. Dann wird man als herzlos, egomanisch und empathiebefreit gescholten. Das größte Elend für diese Katastrophilen wäre, wenn ihr Leben eine Autobahn mit Gänseblümchen-Rand wäre, also alles glatt ginge, bar jeglichen Jammer-Potenzials. Warum man mit solchen Hobby-Tragöden dennoch den Kontakt halten soll? Ganz einfach: Weil einem das eigene Leben nach so einem Telefonat wieder wie ein Volksfest mit Freizuckerwatte erscheint.

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