Chaos de Luxe: Supermacht Authentizität

Die Kunst, sich nicht verstellen zu müssen
Polly Adler

Polly Adler

Einige Jahre her: Brüllende Hitze, Mörbisch – und Harald Serafin tollte im Operettenornat hoch oben in den Kulissen. „Sagen Sie einen Satz, der immer für Sie stimmt!“ schrie ich zu ihm hinauf. Eine scheppernde Lachsalve, dann: „Ich bin so dankbar, dass es mich gibt!“ Kürzlich stieß die immer so erfrischende Dagmar Koller ins gleiche Fahrwasser: „Und ich liebe mich sehr.“
Beide Aussagen empfand ich als wasserdicht – nicht antrainiert, keine Camouflage, sondern aus tiefstem Herzen. Zeit für Persönlichkeitsforschung: Warum werden manche zufriedene Frohnaturen und andere wiederum sind auf den Mürrisch-Modus gestellt, dauergekränkt, von Neid angeknabbert und vermitteln einem ständig den frusttrunkenen Eindruck, dass sie auf diesem Erdrund schlecht behandelt werden und zu kurz kommen? Ich bin überzeugt, dass das Gold jeder Persönlichkeit Authentizität ist. Jene, die wissen wer sie sind, und vor allem, wer sie nicht sind, mögen sich und können sich den Luxus der entsprechenden Gelassenheit erlauben.
Ich denke an die kleine Finnin, die ich in einer Doku über Influencer gesehen habe. Sie steht auf einem schäbigen, engen Klopfbalkon im Nirgendwo der Tundra und turnt ihren Followern ein Leben knietief im Glamour vor: „Weil viele mich fragen, wie kriegst du deine Haare so hin – es sind Produkte von Blablabla“. Diese Kluft zwischen der Klopfbalkon-Realität und der ersehnten Außenwahrnehmung muss wahnsinnig anstrengend sein. Und frustrierend. Und demnächst wird diese Seifenblasen-Identität platzen, weil Hunderttausende nach dem gleichen Konzept in das Radarsystem der Wahrnehmung geraten wollen.
Im Zuge meiner Persönlichkeitsforschung habe ich eine Nacht damit verbracht, mir Bob-Dylan-Interviews auf YouTube reinzuziehen. „Im Leben geht es nicht darum, zu suchen, Selbstfindung und der ganze Scheiß“, knarzte er, „es geht darum, dich zu erschaffen.“
Ein lebenslanger Job.
Aber ich übe.

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