Chaos de Luxe: Starkes Stück

Was wir von Simon Stones „Medea” lernen
Polly Adler

Polly Adler

Polly Adler über jene Männer, die es allen recht machen wollen.

Das Beste, was ich seit Langem gesehen habe, ist „Medea“ am Burgtheater. Der Regisseur Simon Stone stemmte das Stück radikal in die Gegenwart: Medea, dargestellt von der Königin des Alltagswahnsinns, Caroline Peters, wird aus der Psychiatrie entlassen, nachdem sie versucht hatte, Jason „ein bisschen“ zu vergiften. Gerade einmal so, dass er in seiner kotzenden Hilflosigkeit bei ihr bleiben muss, obwohl er doch längst dabei ist, eine Gegenfamilie zu gründen. Mit einer Frau, die gerade einmal fünf war, als er Medea einst geheiratet hat. Das klingt eher wie eine skandinavische Netflix-Eigenprodukion als eine griechische Tragödie. Das Stück fetzt mitten in die Herzgegend, weil es so schmerzhaft wahrhaftig ist. Tausendfach passiert. Steven Scharf zeichnet mit seinem Jason den klassischen „Gewissermaßen“-Mann. Jenen Typus von schwachmatischen Egomanen, die alles richtig machen wollen, indem sie es allen recht machen. Ist ja auch so energieökonomisch. Solche hinterlassen sowohl bei den Haupt- als auch bei den Nebenfrauen Hoffnungs-Häufchen, damit beide am Rotieren gehalten werden. „Von all seinen Lügen fand ich, das Ich-liebe-dich eigentlich am Schönsten“, sagt F, als ich sie durch die Praterallee schleife, damit sie endlich auf andere Gedanken kommt. Sie hat gerade bei ihrem Immer-ein-Hintertürchen-offen-Kerl das Nebenfrauen-Match gegen eine neue Nebenfrau verloren. Und kocht vor Wut. Ich versuche, sie abzukühlen: „Schätzchen, beruhige dich. Ein Doppelmord macht die Sache doch nicht besser. Und außerdem: Die Protagonisten wechseln, der Plot bleibt der gleiche. Er wird nur dann treu sein können, wenn seine Prostata zuckerkrank ist. Willst du das?“ – „Ja!“, sagt sie mit fester Stimme. Und fügte theatralisch hinzu: „Wer an die Freiheit des Willens glaubt, hat nie geliebt und nie gehasst.“ – „Selbst gebacken?“ – „Nein, sondern von Ebner-Eschenbach.“

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