Chaos de luxe: Smoking-Schurlis an Escada-Frauen

Warum das Theater so herrlich sinnlos und deswegen so geliebt ist.
Polly Adler

Polly Adler

Als ich noch Theaterkritiken schrieb, musste ich den winzigen Fortpflanz aus Mangel eines Babysitters miteinpacken und wir düsten nach Salzburg. Dem Himmel sei Dank handelte es sich um eine Off-off-Produktion im Stadtkino, ich durfte das Kind auf den Schoß nehmen und wir tauchten ab in einen Ibsen-Kosmos aus Lügen, loderndem Hass und Aussichtslosigkeit royal, von jungen lettischen Extremdarstellern unter Begleitung von Aerosol-Fanfaren umgesetzt. Ich hatte aufgehört, mich als Theater-Scharfrichterin wichtig zu nehmen, als mir die Frau eines befreundeten Schauspielers erklärte: „F kotzt seit Stunden, weil er drei schiefe Sätze in der Frankfurter über sich gelesen hat.“ Solches Karma wollte ich auf keinen Fall. Nach Ende des Ibsen-Irrsinns murmelte das schlaftrunkene Kind im Auto: „Mama, versprich mir, dass wir auch einmal so verrückt werden wie die Leute auf der Bühne.“ Ich drückte sie und flüsterte: „Deal done.“ Das liebte ich früher an Salzburg, dass neben der Rolls-Royce-Klassik für die geldblonden Taftfrisuren in Escada an ihren gelmanipulierten Smoking-Schurlis, bei denen Kunst den gleichen Stellenwert besitzt wie Golfturniere oder Weinverkostungen, auch noch anderes möglich war. Wie ein neunstündiger „Faust“ auf der Perner Insel, in dem der Hochmair als unkontrollierte Mephisto-Rakete über die Bretter fegte und man in eine Art Theater-Trance rutschte. In den letzten Jahren war alles sehr vorhersehbar. Caroline Peters, die ich für ein Wundergeschoss halte, als Buhlschaft wäre schon die ÖBB-Fahrt an blassgrauen Tramezzini wert, aber dieser Theater-Lipizzaner „Jedermann“ ist vielleicht nicht, um mit Herrn Kraus zu sprechen, „aberwitziger Dreck“, aber den Hype habe ich nie verstanden. In jedem Fall habe ich große Theater-Phantomschmerzen, weil das Theater so herrlich analog und vielleicht deswegen sinnlos ist. Analoge Sinnlosigkeiten sind das Allerbeste.

 

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