Chaos de Luxe: Seelisches Kuscheln
Meine Schauspiel-Freundin und ich hatten gerade einiges an Geld auf Grund abgesagter Shows verloren. Während ich zu Hause Linsenkonserven zu Pyramidchen stapelte und mir ausrechnete, wie lange ich bei einem Ausgangsverbot über die Runden kommen könnte, schnurrte sie mit ihrem Burgtheater-TÜV-Organ ins Telefon: „Schätzchen, wenden wir die Katastrophe doch einmal so, dass auch Licht drauf fällt. Endlich haben wir einmal die Gelegenheit, unsere Systeme runterzufahren. Uns zu entschleunigen. Stillstand als Chance!“
Man kuschelt also trotz Distanz viel mehr seelisch, als in der Zeit, in der jeder den Motor auf Teufel komm' raus hochzufahren hat.
P besaß prinzipiell ein Gemüt, das in dieser Menschheits-Periode an der Börse mit Kurs-Höchststand belohnt werden sollte. Sie würde noch angesichts eines Wohnungsbrands sowas sagen wie: „Ich wollte sowieso schon längst einmal neue Vorhänge.“ Auch Rita Wilson, die Gattin von Tom Hanks, gibt aus der Quarantäne fröhliche Durchhalteparolen. Sie postet Aquarellfarben, Notenbücher und #coronaingalittle. Der Subtext: Nehmt die Chance zur Selbstverwirklichung. Gerade in der sozialen Isolation scheint sich auch die Sehnsucht nach reanimierten Freundschaften bei vielen, oft auch längst verloren geglaubten Menschen breitzumachen. Das Telefon klingelt dieser Tage wie wild und diese über Monate Entschwundenen flüstern Sätze wie: „Wir haben uns viel zu lange nicht gehört. Erzähl einmal, wie geht es dir?“ Man kuschelt also trotz Distanz viel mehr seelisch, als in der Zeit, in der jeder den Motor auf Teufel komm' raus hochzufahren hat. Und kläfft seine Eltern an, dass sie ihre Einkäufe gefälligst online ordern sollen. Weil man in vorauseilende Panik gerät, dass sie nicht gesund bleiben könnten. Ein Shopping-Verbot ist für meine Mutter schlimmer als jedes Virus, aber ich schwinge die Bildungsbürger-Keule und stelle sie mit Blaise Pascal kalt, der überzeugt war: „Das ganze Elend der Menschen rührt daher, dass sie partout nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.“
polly.adler@kurier.at
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