Chaos de Luxe: Putz-Fluchten

Polly Adler über die Psyche der Prokrastinisten.
Polly Adler

Polly Adler

Ich putze Fenster. Mit akribischer Hingabe. Viel fehlt nicht und ich würde mir auch noch so eine karierte Witwe-Bolte-Kopftuchsache mit Masche auf das Haupt zurren. Meine Perle macht sich ernsthafte Sorgen und wiederholt nur mantraartig: „OhmeinGott!“ Im Normalzustand hasse ich es, zu putzen. Schon in Studententagen habe ich lieber Nachhilfe gegeben oder bin mit fundamentalistischen Amis als Tourguide durch Europa gebrettert, um mir Unterstützung leisten zu können. Doch das ist das Wesen des pathologischen Prokrastinismus: Man tritt panisch die Flucht vor der eigentlichen, so bedrohlichen Aufgabe in absurde Verrichtungen an. Die Fenster waren nur der Anfang: Ich ordnete die Pillen in meiner Hausapotheke nach Krisengebieten: Magen, Grippe, Krämpfe etc. Ich bestellte mir im Versand Frech-Frivoles wie „Rita, die Fliesenfugenbürste“, um den Kacheln Mores zu lehren. Die Leere des Laptop-Monitors, der mit einem Finale furioso für unser neues Programm gefüllt werden sollte, steigerte mit jeder dieser Vertagungs-Manöver ihr Bedrohlichkeitsausmaß. Ich dachte an Hanno Pöschl, der zum Thema Versagensangst einmal lapidar den Satz sagte: „Wenn i ka Angst hab’, geh i wieder ham.“ Wahrscheinlich ist Angst im psychisch erträglichen Ausmaß, ich rede nicht von Angststörungen, tatsächlich ein konstruktiver Motor. Es heißt ja nicht umsonst Deadline. Als wirklich jeder Winkel meiner Wohnung in perverser Sauberkeit erstrahlte, setzte ich mich an den Schreibtisch und hatte Fritz Kortner, den genialen Theatermann im Ohr, der in der höchsten Stress-Bredouille seinen Schauspielern und vor allem sich selbst häufigt zu knarzte: „Machen wir’s langsam, denn wir haben keine Zeit.“ Diese Parole kam sofort auf die Liste fahrlässig unterschätzter Weisheiten.

Polos „Nymphen in Not“:  ab 6. Oktober jeden Sonntag um 11 Uhr im Wiener Rabenhoftheater. Mit den Damen Beimpold, Happel & Morzé.

www.pollyadler.at
polly.adler@kurier.at

Kommentare