„High Tea” mit Voltaire
Genauso wie sich die Menschheit in Hunde- und Katzentypen, Früh-Hochschießer und Morgenmuffel, Gröscherlrutscher und Generöse, Zwangspessimisten und Zufriedenheitsakrobaten teilt, gibt es Jahreszeiten-Fraktionen. Ich bin voller Inbrunst Team Sommer, wo Freiluft-Trinken und dieses „Ich lasse dem Rest der Welt Vorfahrt“-Gefühl dominieren. Im Herbst, wo einem immer diese Rilke-Sätze „Jage die letzte Süße in den schweren Wein ... wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“ durchs Gemüt trommeln, fehlt mir die Leichtigkeit, die Lebenslust hochzujazzen. Da hilft nur eine „Der Herbst ist so schlimm auch wieder nicht, weil ...“-Liste: 1. Man schart sich wieder mit den wahren Freunden um Schmorgerichte. 2. Der Schlaf vor Mitternacht trägt erheblich zur Zellerneuerung bei. 3. Der Fortpflanz kriegt den Heimweh-Blues und legt wieder mehr Boxenstopps nach Wien. 4. Es gilt, die drei Meter lange Zeile der noch immer nicht gelesenen Bücher abzuarbeiten, schwere Russen haben Vorrang. 5. Institutionalisierungsversuche von „High Tea“-Zeremonien am Sonntagnachmittag mit Gurken-Sandwichchens und dem ganzen britischen Kram. 6. Die zweite Staffel der „Morning Show“ auf Apple TV. 7. Theaterbesuche, für die man sich auch entsprechend aufbrezeln sollte. 8. Abschwellender Dolce-Vita-Exhibitionismus in der Instagram-Nachbarschaft, der einen selbst immer so unmondän erscheinen lässt. 9. Antritt der Präsidentschaft der Gesellschaft der Vorfreude auf den Frühling. 10. Entdeckung von abartigen Hobbys. Nach der Sauerteig-Offensive avancierte Sticken zu einer neuen Hipster-Beschäftigungstherapie. Ich spiele mit dem Gedanken, mir einen Polster zu gönnen, auf dem in Kreuzstichen der Voltaire-Satz gestickt ist: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“
Nutzt’s nix, schadt’s nix.
Tipp: „Nymphen in Not“: 3. und 17. Oktober im Rabenhof, mit S. MacDonald & P. Morzé, www.pollyadler.at, polly.adler@kurier.at
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