Chaos de Luxe: No filter needed
Das Kind kläfft mir aus Zoomistan zu, dass ich mir gefälligst die Netflix-Doku „The Social Dilemma“ anzusehen habe: „Damit du einmal siehst, wie wir uns alle freiwillig verpeilen lassen.“ Tatsächlich wird einem übel, wenn aus den Sekten Facebook und Instagram ausgetretene Super-Nerds über die Manipulationsfertigkeiten von Zuckerberg & Co plaudern. Schlüsselsätze sind: „Sie wissen, dass dein Dopamin-Haushalt immer und immer mehr Gefällt-mir-Daumen braucht“ oder „Es geht nicht um Produkte, um die geworben werden soll, du bist das Produkt.“ Während ich die Doku streame, kontrolliere ich nervös auf Insta das Herzchen-Aufkommen meines Claus-Peymann-Fotos nach der Premiere. Und seit wann ein Herr, der mir nicht ganz wurscht ist, auf WhatsApp offline ist. Dann pirsche ich mich noch ein wenig in die Insta-Accounts der „Zufällig habe ich heute beim Sortieren dieses Foto gefunden“-Fraktion. Viele Damen meiner Altersgruppe posten nämlich gerne Jugendbildchen mit viel Mähnenschwung, die sie mit diesem Zufällig-Sätzchen begleiten. Ihre Gier nach den entsprechenden Applaus-Emojis und Ausrufen wie „Awesome!“ oder „Amazing!“ ist dabei nahezu greifbar. Man fragt sich auch, warum alle, oft nicht astrein, herumenglischen müssen. Wahrscheinlich, um den Schulkolleginnen, diesen Provinz-Schnepfen aus der Mur-Mürz-Furche, zu signalisieren, wie wahnsinnig internationally linked sie denn nicht seien. Der Bernhard in der Josefstadt war mein erster Theaterausflug seit Februar und mir kamen nahezu die Tränen, als ich diese schauspielenden Echtmenschen ein völlig analoges Universum kreieren sah und der 83-jährige Peymann mit Wehmut im Gesicht sich danach die Jubelrufe abholte. No filter needed, dachte ich mir, und musste schnell nach Hause, weil, wenn ich so gerührt bin, kann es bei mir flugs ins Peinliche kippen. #nichtfremdsondernselberschämen.
Die Kult-Matinée „Nymphen in Not“ ab 4. Oktober wieder regelmäßig im Wiener Rabenhoftheater.
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