Chaos de Luxe: Menschenschlag Katastrophenjunkie
Da ist ja
Ziegenkäse drinnen!“ Schreckensgeweiteter Blick angesichts der Vorspeise, als ob sich eben eine megamürrische Kreuzotter durch die Blattsalatgarnitur schlängelte. Die Tischnachbarin unterbricht jetzt die angeregte Konversation, um zu einer Arie über die mit der Einnahme eines solchen Nahrungsmittels verbundenen Beschwerden anzustimmen: Spontankrämpfe, Höllengrüße in Form von Inflatulenzen undundund. Der Hausherr will ihr zur Glättung ihres Nervenkostüms einen Fiebertraum-Bordeaux einschenken. Sie wirft sich über das Glas: „Bloß nicht! Histamine! Allergische Reaktionsgefahr!“ Während der Rest der Tischgesellschaft angeregt konversiert, klammert sich meine Tischnachbarin an mich wie Kate Winslet an die Holzplanke im Eismeer in „Titanic“. Sie entpuppt sich als Katastrophenjunkie, denn sie attackiert meine Lebenszeit die nächsten Stunden mit der Analyse ihrer medizinischen Diagnosen – sie muss ein ganzes Ärzteteam auf Trab halten. Ich begriff, dass ich ein Bilderbuch-Exemplar von Hypochondrie mit einer vorauseilenden Angststörung neben mir hatte. Ihre glitzernden Blicke erzählten mir auch, dass sie sich in ihrem Leid wie ein Nilpferd in einer kühlenden Schlammlacke suhlte. Ich fragte mich, wo ihre Krankheits-Erregung wohl ihren Ursprung genommen hatte. Ein emotionaler Gefrierschrank von einem Elternhaus, Wasseradern unter der „fainting couch“, so der wunderbare britische Begriff für ein antikes Möbelstück, auf dem die Damen im 19. Jahrhundert nach ihren Ohnmachtsunfällen gebettet wurden? „Papperlapapp“, flüsterte mir die Gastgeberin, der ich meine Thesen nach dem Abgang der personifizierten Migräne später unterbreitete, „der ist einfach nur megafad im Schädl“. Sie versprach mir bei der nächsten Einladung die flamboyanteste Plauderbegabung, derer sie habhaft werden könne. Zur Wiedergutmachung. Deal done!
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