Chaos de Luxe: „Keinen Leierkasten zwischen uns”
Es ist fast zwanzig Jahr her, dass ich das Glück hatte, die Knef, kurz vor ihrem Tod, in Berlin für ein Interview besuchen zu dürfen. Sie war von vergnüglicher Schroffheit und der Gelassenheit jener Menschen, denen das Schicksal nichts Neues mehr erzählen kann. Klar, dass man sie auch zu ihrer engen Freundschaft mit
Marlene Dietrich befragte. Ein schmerzlicher Punkt, denn die war eine Geisterbahnfahrt gegen ihre Vergänglichkeit angetreten und hatte sich die letzten zwölf Jahre ihres Leben ein obskures Reich der Isolation in der Avenue Montaigne Nr. 12 geschaffen, das nahezu niemand betreten durfte. Ihre Vertrauten waren ihre Medikamente, Alkohol und das Telefon. Die Knef war dennoch nach Paris aufgebrochen, um ihre Freundin ein letztes Mal zu umarmen. Sie flehte sie durch die Gegensprechanlage an, sie hinaufzulassen: „Marlene, mach auf, ob du jetzt Falten hast oder nicht, macht doch keinen Leierkasten zwischen uns!“ Keine Chance. Marlene wies sie an, auf die gegenüberliegende Straßenseite zu gehen, damit sie der Knef zuwinken konnte. Die Dietrich hatte ihre Wohnung so ausgesucht, dass sie direkt auf ein bestimmtes Fenster des Plaza Athénée gegenüber sehen konnte – in jener Hotelsuite hatte sie mit Jean Gabin jene Art unglücklicher Leidenschaft gelebt, die einen für alle anderen versaut. Wie unfassbar melanchoromantisch! Sona MacDonald inkarniert gegenwärtig in den Kammerspielen Marlene, den „Engel der Dämmerung“, mit so atemberaubender Präzision, dass man niederknien möchte. Und gleichzeitig so dankbar ist, dass man heute für so ein selbstbestimmtes Leben mit allen Freiheiten nicht mehr einen solch hohen Preis zahlen muss. Denn die Einsamkeit kriecht aus allen Briefen, die von der Dietrich erhalten sind. „Über Emanzipation habe ich nie nachgedacht, Kindchen“, hatte die Knef mir damals zum Abschied gesagt, „ich habe sie einfach gelebt“. Was für ein Glück wir doch heute haben.
„Nymphen in Not“ am 22. Februar in Melk.
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