Chaos de Luxe: Heiliges Monster

Weißwein zum Aufwachen
Polly Adler

Polly Adler

Helmut Berger, 75 und reichlich Leben am Tacho, sitzt bei einer Pedikeuse in einem niedersächsischen Kaff und schafft ihr an, seine Zehennägel schwarz zu lackieren. „Sind S’ da sicher?“, will die Fuß-Fee wissen. Ja, ganz sicher, denn er trage Trauer um sein Leben.  Später wird er gefragt, ob er denn noch trinke: „Nein, kaum. Höchstens ein bisschen Weißwein zum Aufwachen ...“ Klar doch, Kaffee kann ja jeder. Szenen aus dem grandiosen Dokumentarfilm „Helmut Berger, meine Mutter und ich“. Nach den devastierten Bildern aus dem RTL-Dschungel war die Mutter der Filmemacherin beseelt davon gewesen, den heruntergekommenen Paradiesvogel aufzupäppeln – in ihrer völlig normalen Welt, wo Pferde grasten und nachmittags Kuchen gegessen wurde. Zerzaust und hilflos wie es war, hatte das einstige Weltstarlet angenommen. Dann totaler Kulturcrash. Kaum bei Kräften, wurde Herr Berger schon wieder unartig. Geborene Exzentriker sind da sehr verlässlich. Die Mutter hatte sich Dankbarkeit und eine neue Freundschaft erwartet. Doch mit solchen bürgerlichen Kategorien ist einem Cinecittà-Monster nicht beizukommen. Kaum witterte es neue Glamourmöglichkeiten, ließ es die Mutter in den Trümmern ihrer Illusionen stehen. Prinzipiell hilft es, sich von Menschen nicht mehr zu erwarten, als sie zu geben bereit sind. Das reduziert das Enttäuschungspotenzial schon einmal kräftig. Und Paradiesvögel gehören einfach nicht zu der Kategorie der Empathieträger. Die kennen meist nur eine Droge, von der sie nie genug kriegen können: sich selbst. Deswegen sollte man eine gesunde Balance von Normalos und Egozentrikern im Freundschaftsrepertoire haben. Erste kann man nämlich bei Trostbedarf nachts anrufen, wenn man auf dem seelischen Pannenstreifen liegt. Die Ego-Tiere gehen nicht zum Telefon oder erzählen, was sie selbst schon für Katastrophen bravourös bewältigt hätten. Kalt, aber amüsant. Und sauanstrengend.

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