Chaos de Luxe: Fassaden-Geturne
Ich saß im Vorzimmer einer It-Scheidungsanwältin. Als Begleitperson einer Freundin, die sich „nur einmal so erkundigen“ wollte. Der Verdacht, dass ihr Ehemann, ein „Feschak“ vor dem Herren, wie sie selbst schon mehrfach mit Besitzer-Stolz angemerkt hatte, mit der sexuellen Aufgeschlossenheit eines Mantelpavians durch seine Klinik, den Tennisklub und die Bar-Landschaft wilderte, hatte die Schallhöhe eines Pressluftbohrers erreicht. Jede Krankenschwester wusste, dass der Feschak Treue wie die Klimabewegung Plastik behandelte, nur B hatte ihre düstere Ahnung immer verdrängt. Bloß keine Veränderungen. Vor allem nicht des Lebensstils. Dachausbau in Wien 8, Jeep und Trallalala. B hatte immer nur in lustloser Teilzeit gerobotet und war von einer „Ich glaube, das ist es jetzt“-Ausbildung in die nächste geplumpst: Feldenkrais, Farbenlehre, eine Speiseeis-Ausbildung auf einer Art Gelato-Harvard in Bologna. Endete alles mit der Einsicht, dass sie sich durch Arbeit doch nicht das Leben versauen wollte. Nach nur einer Viertelstunde kam sie wasserleichenblass aus der Konsultation: „Sie hat mich gefragt, ob der Schmerz so groß ist, dass ich beim Zahnarzt nicht mehr warten könnte ...“ – „Und?“ – „Mein Lebensstandard würde in die Kategorie Demütigung plumpsen ...“ – „Also weiter Fassadengeturne?“ Sie nickte. Wenig später sollte der Feschak sie verlassen. Weil er verliebt war wie noch nie. Und da er kein Buddhist sei, also nur an ein Leben glaube, wolle er sein unverhofftes Glück nie mehr loslassen. „Nie mehr“ ist, wie wir wissen, besonders bei Feschaks ein situationselastischer Begriff. Aber sei's drum. Jetzt hatte B wenigstens die Chance, in die Gänge zu kommen. Und ich hatte insgeheim sogar Sympathie für den Doc. Nichts deprimiert mich nämlich so sehr wie der Mangel an Initiative. Und Menschen, die in ihrem eigenen Leben wie ein Zaungast herumstolpern.
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