Chaos de Luxe: Dolce-Vita-Terror
Ich bin erschöpft. Von der Dolce-Vita-Olympiade, die sich auf
Instagram zur Zeit abspielt. Provence-Villen, Mallorca-Fincas, Stillleben mit Tomaten, Oliven, Lavendel, Pareo-Orgien, Strand, Strand, so wahnsinnig viel Strand, mit der häufigsten Bild-Unterzeile: „Und ihr so?“ Der Treibstoff dieses Lifestyle-Wettbewerbs ist auf eine simple Formel zu bringen: „Hey, mein Leben ist soviel toller als deines.“ Plus: „Und ich sehe dabei noch verdammt gut aus.“ Man wäre fast versucht, ein Gegenprogramm der Glücksanarchie zu starten: Staus, Müllfotos, das eigene faltige Gesicht in Szene zu setzen, mürrische Menschenschlangen, deren Anblick von hohen Cholesterin-Werten und nippesverseuchten Wohnungen erzählt, in den Kaisermühlener Supermärkten abzulichten – mit Hashtag-Orgien à la #lifesucks, #mutzurhässlichkeit, #grumpinessrocks. Das Kind tourt gerade seit vier Monaten um den Erdball und gönnt sich eine Funkstille auf den sozialen Medien. Es findet, diese Dauerinszenierungen sowieso inzwischen so was von „old school“, null Coolness-Faktor. Seine These: Typen, die dem Zwang erliegen, ständig einen solchen Dolce-Vita-Terrorismus auf ihre Mitmenschen auszuüben, müssten so Defizite und eine „gewisse innere Leere“ abdecken. „Und das hast du alles im Regenwald gelernt?“ whatsappe ich ihr. „Unter anderem. Dort habe ich kapiert, wie schön Echtleben sein kann. Ohne Gefällt-mir-Daumen-Stress fühlt sich alles einfach viel besser an.“ – „Bravo! Aber bitte verschone mich jetzt wieder mit Sätzen wie ,Ich habe meine Mitte gefunden’ oder ,Ich bin angekommen’. Dann müsste ich nämlich zum Äußersten schreiten.“ – „Das wäre?“ – „Tierfotos zu posten.“ – „Dann lasse ich mich von dir scheiden!“ Ich lösche sofort die Schwan-Mutti, die sechs Babys in ihren Flügeln sitzen hat – ich sage nur 300 Likes. Es ist ja auch wirklich zu süß peinlich. Aber in der Mitte will ich trotzdem nicht wohnen.
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