Chaos de Luxe: „Dieses nymphomanische Luder”

Arme, wehrlose Kerlchen
Polly Adler

Polly Adler

Der Kabarett-Großmeister N. erzählte mir unlängst, dass seine manchmal schwächelnde Schaffenskraft einen Booster bei Zugfahrten erfährt. Nirgends könne er sich so fantastisch konzentrieren wie in den Schweigeabteilen der ÖBB. Zwei Mal Wien-Bregenz und vielleicht einmal Attnang-Puchheim: schon sei so ein demnächst umjubelter Satireabend eingetütet. Ich fand den Tipp überzeugend. Kaum hatte ich mich in meinem Abteil großfürstlich eingerichtet, fixierte mich die Dame gegenüber eindringlich. Physiognomisch hatte sie etwas von einer Feldmaus und sagte: „Darf ich Sie was fragen?“ Ich rechnete mit einer Bitte, ihr den Koffer auf die Ablage zu hieven, sie hatte auch Feldmaus-Größe. Irrtum, großer, fetter Irrtum! „Mein Mann ... siebzehn Jahre waren wir ... naja, glücklich ist vielleicht übertrieben, aber zufrieden ... Und gestern sagt er mir am Frühstückstisch, beim Mampfen einer Erdbeermarmelade-Semmel, dass er mit der Gerti, unserer Nachbarin ... dass er sich erstmals wieder seit Jahren spürt ...“  Ihre Verzweiflung rührte mich, andererseits konnte man sich nicht die Probleme der Erdbeermarmelade essenden Menschheit auf die Schultern laden. Kleines Achselzucken, um die Sache vom Tisch zu kriegen. Keine Chance bei Madame Feldmaus: „Sie hat ihn verführt, dieses nymphomanische Luder, g'schnupft hat sie sich ihn. Und dieser  Trottel hat das nicht geschnallt, hat sich einkassieren lassen. Wegen dem bissel Budern sind jetzt 17 Jahre im Guli. So eine Bisch ...“ – „Bitch, aber...“ – „Nix, aber. In einem schwachen Moment hat sie sich ihn gekrallt mit ihren falschen Prolo-Nägeln ...“ Es ging noch eine Weile so weiter, dann reichte es mir und ich sagte nur: „Das arme Kerlchen, so ein lieber, so ein unschuldiger, so ein wehrloser Bub ... und dann kommt dieser Nympho-Trampl daher ...“ Dem Himmel sei Dank, jetzt fand sie meine Empathiewerte überschaubar und deutete auf das Schild, in dem die ÖBB um Lautlosigkeit bat. Sieg auf der ganzen Linie!

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