Chaos de Luxe: Der volle digitale Demütigungs-Tsunami

Wenn Typen kommentarlos abhauen
Polly Adler

Polly Adler

Polly Adler über über das Phänomen „Ghosting”

Das Kind hat Heimurlaub. Endlich wieder der Geruch von lustigen Zigaretten, Kreisch-Arien meinerseits wegen entschwundener Kleidungsstücke aus meinem Schrank und Krisenlager von Freundinnen, die allesamt Spitznamen wie Polo-Ponys oder Schlittenhund-Vizechampions tragen: Asti, Jimmy, Wumsi oder so ähnlich.  Irgendein verhaltenssperriger Schurli hat sich aus dem Leben eines Polo-Ponys „ghostingmäßig“ vertschüsst, sprich diese Wumsi auf allen sozialen Kanälen blockiert, defriended, den vollen digitalen Demütigungs-Tsunami. Früher war wirklich alles besser, da konnte man nur auf dem Festnetz ignoriert werden. „War das bei euch auch so?“, will eine der Wumsis von mir wissen, „dass die Typen einfach kommentarlos abgehaut sind – obwohl sie davor die ganze OMG-you-are-so-awesome-Nummer abgezogen haben?“ – „Und wie!“ tröste ich sie, „merke: Je enthusiastischer einer die Lavendelmaschine anwirft, desto schneller sollte man sein Ich-bin-auf-das-Schlimmste-vorbereitet-System in Gang bringen.“ – „Kann man gar niemand mehr vertrauen?“, schluchzt Wumsi. Das Kind klopft ihr auf die Schulter: „Frauen täuschen Orgasmen vor; Männer Beziehungen. Hat Sharon Stone gesagt.“ – „Wer ist denn diese Typin?“ – „Eine Friedhofsdeserteurin in meinem Alter, die es gut mit euch meint. Sie hat jetzt jede Menge Möpse, die sie in lustigen Halloween-Kostümchen auf Insta postet, und eine Schar Adoptivkinder, sie ist also nicht mehr im Geschäft.“ Ich spare mir die Geschichte von Tolstoi, der mit 82 von zu Hause abgehaut ist, unter Hinterlassung eines popeligen Briefs an seine arme Sofia auf dem Küchentisch. Der resultierende Dialog-Abtausch würde wahrscheinlich so ablaufen: „Wer ist jetzt wieder dieser Dude?“ – „Autor von Krieg und Frieden.“ –  „Amazon prime oder Netflix?“ Einfach zu deprimierend.

www.pollyadler.at
polly.adler@kurier.at

Alles über die männliche Psyche in „Kerls!“ bei K & S,
Lesung am 24. 11.
Im Rabenhof: Mit Petra Morzé und Manuel Rubey

Kommentare