Chaos de Luxe: Der Kuschelparty-Tycoon

Polly Adler über generationenübergreifende Haptik-Defizite
Polly Adler

Polly Adler

Das Kind gewährt mir Audienz in Berlin. Erstaunlich. Sie insistiert nachgerade auf die Anreise, was sicher mit der Tatsache zu tun hat, dass ein paar „Da-gehen-jetzt-alle-hin-und-Tralala“-Restaurantbesuche abfallen, bei denen Muttchen das Plastik zückt. Es trudeln auch illustre Freunde in die drollige Schuhschachtel, die sie Wohnung nennt. Viele davon Weltreisende, die gerade einen Boxenstopp machen. Die Kinder haben ja so recht, wenn sie das Erwerbsleben eine Weile auf der Ersatzbank parken. Sölken hingegen, ein Typ mit überschaubarer Hautfläche ohne Tätowierung, macht in Events besonderer Art: Er ist Kuschelparty-Tycoon. „Was ist das genau?“ – „Naja, Swinger- und Fetischklubs, damit sind wir hier schon durch. Ich meine, so ’ne Bude wie Kitkat ist doch nur mehr ’ne Touri-Falle. Der wahre Coronavirus der Seele ist  Einsamkeit.“ Der letzte Satz hatte nahezu poetische Sprengkraft, er ließ ihn kurz sickern: „Und da bin ich volle Bulette rein. Bei mir wird im chemiefreien Hipster-Ambiente nur gekuschelt, ohne Hintergedanken. Hoher Frauenanteil, klar doch, aber immer mehr Kerls kommen. Du hast keine Ahnung, was die Menschen für haptische Defizite haben.“ Unsere Unterhaltung wurde durch einen Klingel-Tsunami, der seine SMS-Eingänge begleitete, unterbrochen. „Vielleicht was Wichtiges?“ – „Nee, bloß nicht, ich hab' grad ne GILF am Start, die hat den Klammer-Virus ...“ Mir dämmerte dunkel, dass Gilf die Abkürzung für „Granny I’d like to fuck“ (die Generation nach den MILFs) ist und dass es in dieser Rubrik bereits im pornoaffinen Milieu echte Wettbewerbe gab. „Naja, die Frau ist 62, aber noch immer bist-du-deppert-die-ist schoarf, wie ihr in Wien und Ibiza so schön sagt, aber det hat so seine Eier ...“ Er meinte mit „Eier“ Tücken. „Die will jetzt mit mir ins Museum und den ganzen Beziehungskram. Die hat das Konzept volle nicht geschnallt. Aber eines kann ich dir verraten: Nirgends sind die Puppen haptisch so unterversorgt wie in einer Ehe.“

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