Chaos de Luxe: Der Abgrund von Tinderistan
Freundinnen in meiner Altersgruppe taumeln neuerdings durch Tinder. Erhärteten Verdacht, dass ich mir in Wahrheit selbst dort die Ego-Watschen abhole, weise ich strikt von mir: Ich bin manisch analog, was Kontaktaufnahmen betrifft. Wie sich zeigt, ist Tinder ein Stahlbad. Sollte man dort den fahrlässigen Fehler einer korrekten Altersangabe begehen, braucht man als Frau eine gefestigte Psyche. Denn die Typen, die einen dann nicht gleich in den Orkus erotischen Entrümpelungsmaterials wischen und den „It's a match“ drücken, sehen aus a) wie europäische Sumo-Ringer nach einer langwierigen Cortisonbehandlung oder b) schlaganfallsgefährdete Hobby-Cowboys mit einem Gewaltdurst, der im mildesten Fall mittels Luftdruckgewehr-Geballer auf Klopfbalkon-Tauben gestillt werden könnte. Vom Selbstwert-Beton mancher Kerls sollte man sich stückweise wegsprengen dürfen. Und dann haben wir dann noch die Herren mit den Fake-Profilfotos. Die wirken wie Nebendarsteller aus türkischen Daytime-Soaps, geschmolzener Nougat im Blick, die klomuschelweißen Zähne zu einem Hey-life-is-beautiful-Lächeln gefletscht. Wie man inzwischen weiß, verbergen sich hinter diesen Zu-geölt-um-wahr-zu-sein-Feschaks bisweilen mit Zischlaut-Insuffizienzen geschlagene, bildungsferne Peripherie-Paschas, die hoffen mit diesen Fake-Profilen an Frauen außerhalb ihrer analogen Reichweite zu kommen. Bei den ersten Beschnupperungs-Telefonaten wollen dann manche der Interessenten ohne viel Federlesens wissen, welche sexuelle Position man bevorzuge und ob man der Semmelknödelzubereitung mächtig sei. Bei mit Empörung angereicherten Antworten kommt dann häufig die pikierte Feststellung, ohne überhaupt eine Echtleben-Begegnung absolviert zu haben: „Tut mir leid, ich glaube, mit uns wird das nichts.“ Wie der Regisseur David Lynch schon in „Blue Velvet“ seinen tragischen Helden sagen ließ: „Es ist eine fremde und sehr seltsame Welt.“
Polly Adlers Show „Nymphen in Not“ ab 4. Oktober wieder im Wiener Rabenhof.
www.pollyadler.at
polly.adler@kurier.at
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