Chaos de Luxe: Analoger Gurkensalat

Warum die Species der soziale Zombies wächst.
Polly Adler

Polly Adler

Kannst du bitte endlich einmal zu mir an die Alte Donau kommen und den besten aller Gurkensalate essen, und dann pflügen wir mit dem Boot durch die Wellen.“ – „Würd' ich so gern, aber ich muss doch endlich einmal ausmisten, ich werde sonst wahnsinnig ...“, sagte meine ständig im Entrümpelungsmodus befindliche Freundin F. „Aber es ist Sommer. Da macht man nix Vernünftiges, sondern Unfug. Verstehst du, U-N-F-U-G.“ – „Was fällt genau in diese Kategorie?“ – „Nichts Sachdienliches. Sondern wohltemperiertes Nichtstun. Mit der Terminleere schmusen.“ – „Ich habe einen horror vacui.“ – „ Unbekleckerte Kalenderseiten sind doch das Beste. Ausschließlich Menschen sehen, die nichts von einem wollen, sondern die man nur mag. Die Zwecklosigkeit zelebrieren.“ – „Das klingt verlockend, aber ich muss wirklich ...“ – „Einen Scheiß musst du“, sagte ich, „wir haben uns vier Monate nicht gesehen. Ich habe die Nase voll von Freunden, mit denen man allenfalls über Facebook-Kommentare und WhatsApp in Berührung kommt. Ich will mein prä-digitales Leben wieder zurück. Mit Menschen Grillgut karbonieren, Sommerabende verschwenden, stillgelegte Flirts exhumieren und einfach die schwindenden Alltagskulturtechniken aus dem analogen Leben reanimieren.“ – „Very old school.“ Wenn sie nicht mehr weiter wusste, war F der Typ Mensch, der sich in Anglizismen flüchtete. Mir wurde klar, dass ich sie unterwegs verlieren werde. Ein klassisches Modernisierungsopfer. Ihr Essen bestellte sie bei Foodora, ihre Abende schlug sie mit Netflix-Exzessen tot, ihre Einkäufe erledigte sie digital, sie arbeitete auf Homeoffice-Basis und sie überhaupt einmal ans Telefon zu bekommen, grenzte schon an ein Wunder. Tatsächlich war sie auf dem besten Weg zum sozialen Zombie. Sie und einige andere bestärkten mich in meinem jüngsten Entschluss, endlich wieder unerträglich altmodisch zu werden.

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