Chaos de Luxe: „Alles blendend”
Polly Adler über die Leere des Nestes
Ich habe den Fortpflanz auf den Flughafen gebracht. Er hat sich nicht einmal sonderlich umgedreht und ganz ohne Sentimentalitäten sein Einfachticket in die Erwachsenenwelt gelöst. Jetzt wird er also in Berlin arbeiten. Gefahr im Verzug: Wenn ich mir vorstelle, dass meine Enkelkinder einmal ständig „lecker“ oder „ganz prima“ sagen, kriege ich schon jetzt die Krise. In jedem Fall muss ich mir jetzt ausführlich überlegen, worüber ich mich aufregen kann. In der Maschine vergessene Wäsche oder die Verfütterung der Tortelloni mit Steinpilzfarce an mir unbekannte Menschen kann's ja wohl jetzt nicht mehr sein. Aber was sind die Aufregungs-Alternativen? Sonderrabatte für Frischfleisch im Supermarkt, die Dechiffrierung medizinischer Befunde? Oh Jammer! Kann man ganz abgesehen davon, einmal eine Synode erlassen, dass Menschen, außer bei Schusswunden (das kann ja wieder ganz spannend sein), nicht über ihre körperlichen Defizite plaudern dürfen. Ich binde mir also das Handy auf den Kopf, damit ich nicht in Versuchung komme, denn natürlich will ich dem Kind signalisieren, dass das Muttertier völlig gechilled ist. Irgendwann erbarmt sich der Fortpflanz dann doch und klingelt durch: „Und?“ – „Alles blendend“, sage ich eine Terz zu hoch, „ich sehe mir gerade die Farbkarte von Farrow & Ball an, für dein Ex-Zimmer.“ – „Du malst aus. Ohne mit mir zu reden!“ Ich lächle wie eine Klapperschlange nach dem Verzehr von drei Mäusen: „Du wohnst ja nicht mehr hier.“ – „Aber ich möchte mein Ex-Zuhause jederzeit besuchen können. Mama, übrigens: Die Weihnachtsfeiertage fallen heuer sehr günstig, der 24. ist ein Montag ...“ Ich kriege einen Haute-Couture-Klapperschlangenblick: „Ja, mein Liebling, willkommen in der Welt der Sozialversicherungsnummern, Urlaubsbescheinigungen und Feiertags-Fallkonstellationen. Gib dem Rock ’n’ Roll in deinem Leben einen Abschiedskuss!“ Sie flüsterte nur: „Nicht in dem Leben.“
www.pollyadler.at
polly.adler@kurier.at
„Breakfast at Polly’s”: Petra Morzé, Andrea Händler & Polly performen „Amourhatscher”
Im Wiener Rabenhof: 30. September und 7. Oktober, jeweils 11 Uhr.
Karten unter https://www.rabenhof.at
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