„Ich habe Angst vor der Dunkelheit“: Aida Loos hilft weiter
"Ich habe Angst vor der Dunkelheit“
Oh, wie pittoresk von Ihnen! Da haben Sie sich ja die Oma-Kommode der Phobien ausgesucht: unmodern, sperrig, aber irgendwie nicht wegzukriegen. Gleichzeitig so abgedroschen, dass selbst die Gebrüder Grimm gesagt hätten: „Nein, zu klischeehaft, streichen wir!“
Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen, meine Liebe oder mein Lieber, ich kann das nicht sehen in diesem gedimmten Licht: Haben Sie schon mal einen Blick auf die Stromrechnung geworfen? Da wird einem schwarz vor Augen. Sie sollten viel mehr die Helligkeit fürchten. Jeder Lichtschalter, den Sie betätigen, ist ein kleiner finanzieller Suizid. Die Dunkelheit hingegen ist gratis und obendrein die demokratischste Kraft im Universum.
Im Dunkeln sind wir alle gleich
Arm, reich, erfolgreich, gescheitert – alles egal! Das ist der wahre Kommunismus. Lenin hätte Glühbirnen verbieten sollen, nicht Privateigentum.
Das Licht hingegen ist ein Spitzel, ein Denunziant, ein Verräter. Es ist ein sadistischer Untersuchungsrichter mit Scheinwerfer, aber die Dunkelheit ist diskret. Sie versteckt alles, was hässlich ist, und fast alles ist hässlich. Sie ist im Grunde genommen der letzte verbliebene Gentleman mit Manieren: „Ist das etwa ein eitriges Wimmerl auf der Stirn? Macht nix, ich sage es keinem.“
Aber Sie? Sie lieben Ihren Peiniger und zahlen Unsummen dafür, dass er Sie rund um die Uhr überwacht. Das ist Stockholm-Syndrom mit Ihrer Stehlampe. Aber Sie wollen beleuchtet sein?
Was sind Sie? Ein Mensch oder eine McDonalds Reklame auf der Autobahn?
Aber im Dunkeln könnte etwas Böses lauern? Achso? Im Hellen etwa nicht?
Wissen Sie, wer das echte Ungeheuer ist?
Ihr Chef Thomas, der um 7 Uhr morgens E-Mails schreibt mit „Guten Morgen!!!“ und drei Ausrufezeichen. Als wäre irgendein Morgen gut, an dem Thomas schon wach ist. Das ist der wahre Horror. Nicht die Dunkelheit. Thomas.
Wissen Sie, vielleicht haben Sie gar keine Angst vor der Dunkelheit, sondern vor der Pause. Vor der Stille. Vor dem Moment, in dem Sie einfach nur sind. Oder schlimmer noch: nicht sind, und das ist unerträglich. Weil Sie Ihr Leben lang gelernt haben, dass Sie nur existieren, wenn Sie gesehen werden. Dass Sie nur zählen, wenn Sie gezählt werden. Es ist also das schlechteste Blind Date aller Zeiten und offenbar das Gruseligste, was Ihnen passieren kann: die Konfrontation mit sich selbst.
Das Monster sind Sie. Die Dunkelheit ist nur Ihr Prügelknabe, Ihr Sündenbock, Ihr Bote, und wie immer hassen alle lieber ihn als die Nachricht selbst. Was Sie jetzt tun können? Geben Sie der Dunkelheit einen Namen.
„Wer hat schon Angst vor einem Franz Ferdinand?“
Höchstens die Aristos, aber die sind sowieso mehr zua als von. „Ich geh jetzt ins Bett zu Franz Ferdinand“ klingt nach einer habsburgerischen Romanze und nicht nach einer Panikattacke.
Drehen Sie außerdem das Nachtlicht ab. Aber dann wachen Sie mehrmals auf? Das ist doch wunderbar! Das Schönste am Schlafen ist doch das Einschlafen. Sehen Sie es als Privileg.
So, das macht dann 320 Euro bitte. Warum so teuer? Weil ich Ihnen die Wahrheit gesagt habe, und die Wahrheit ist teuer. Lügen sind billig und deshalb auch so populär. Gehen Sie jetzt bitte, es wird schon dunkel draußen. Ach, und falls Sie doch das Monster unterm Bett finden sollten, grüßen Sie es lieb von mir. Wir waren zusammen am Gymnasium.
Aida Loos ist mit „Zeitloos“ auf Tour, z. B. 28.12. im Konzerthaus Klagenfurt.
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