„Bin ich ein Narzisst?“: Aida Loos gibt Ihnen die Antwort

Auf der Couch mit der (fiktiven) Ururenkelin von Sigmund Freud: Aida Loos lädt zur satirischen Therapiestunde. Thema: Narzissmus.
Aida Loos

Aida Loos

„Bin ich ein Narzisst?“: Die Frage ist nicht, ob Sie ein Narzisst sind, sondern ob Sie ein interessanter Narzisst sind. Langweilige Narzissten sind nämlich die wahre Plage unserer Zeit. Menschen, die endlos über sich selbst sprechen, ohne auch nur einen einzigen originellen Gedanken zu haben. Entsetzlich! Aber Sie kann ich beruhigen: Die Tatsache, dass Sie sich sorgen, narzisstisch zu sein, disqualifiziert Sie. Die Frage allein ist ihre eigene Widerlegung. Es ist, als würde sich ein Obdachloser fragen, ob seine Villa zu protzig ist.

Wie kommen Sie überhaupt darauf? Ihre Frau nennt Sie so? Hat sie zufällig auch ADHS bei den Nachbarskindern und ein Burn-out bei Ihrem Hund festgestellt? Mein Gott, die Ehe! Diese wunderbare Symbiose, bei der einer glaubt, den anderen zu therapieren, während der andere glaubt, den einen zu ertragen. Ihre Ehe scheint zusätzlich ein Tretboot auf dem Ozean der Zweisamkeit zu sein, auf dem immer einer glaubt, der andere trete zu wenig. Und jetzt stellt sich heraus: Sie treten nicht nur zu wenig, Sie treten ausschließlich in Ihre eigene Richtung! Was für eine Überraschung in einer Kultur, die Männern seit Jahrhunderten beibringt, sie seien der Nabel der Welt.

Geschirr vs. Diagnose

Was verrät es eigentlich über Ihre Frau, dass sie einen vermeintlichen Narzissten geehelicht hat? Dieser Vorwurf ist doch nur eine sehr komplizierte Form zu sagen: „Du denkst zu wenig an mich“, was ziemlich ich-bezogen ist, wenn man es mal durchdenkt. Früher hat man mit Geschirr geworfen, heute wirft man mit Diagnosen um sich. Die Entwertung des Partners hat endlich akademisches Niveau erreicht. Außerdem ist Narzissmus kein Fehler mehr im System – er ist das System.

Während Narziss nur einen Teich und Tageslicht zur Verfügung hatte, haben wir Frontkameras, Ringlicht und Filter, die aus jedem durchschnittlichen Gesicht ein göttliches Antlitz zaubern, gesponsert von Evian. Narziss war gar kein Narzisst. Er war ein trauriger Amateur, der zwar seiner Zeit voraus war, aber weder die Ausrüstung noch den Businessplan hatte. Es ist, als hätten wir eine ganze Gesellschaft auf dem Prinzip aufgebaut, das den armen Kerl umgebracht hat. So gesehen sind wir alle Narzissten. Der Unterschied zwischen einem diagnostizieren und dem Rest der Menschheit ist lediglich die Tatsache, dass Ersterer erwischt wurde.

Was ich Ihnen rate? Benutzen Sie Ihre Diagnose als Freifahrtschein für alles, was Sie nicht tun wollen. „Mein Narzissmus erlaubt keine niederen Tätigkeiten.“ Machen Sie sich einen Spaß draus! Kaufen Sie sich extra teuren Cognac und trinken Sie ihn demonstrativ vor ihren Augen. Sagen Sie: „Nur das Beste für mich.“ Das schaffen Sie nicht? Gut, dann bleibt immer noch die Option, tatsächlich narzisstisch zu werden. Man kann schließlich nicht enttäuschen, wenn man die Erwartungen erfüllt.

Rechnen Sie jedenfalls damit, dass all Ihre Handlungen von nun an durch das Prisma Ihrer vermeintlichen Störung betrachtet werden. Schenken Sie ihr Blumen? Narzisstische Manipulation. Schenken Sie keine Blumen? Narzisstische Vernachlässigung. Ihre Frau hat den Trumpf ausgespielt. Jetzt haben Sie zwei Möglichkeiten: Kontern Sie mit „Borderline“, oder geben Sie auf.

So, das macht dann 200 Euro, aber bitte in bar, denn nur Geldscheine flüstern „Du bist brillant“, wenn man sie zählt.

Die Autorin: Aida Loos ist ab Herbst mit „Zeitloos“ auf Tour, 16. 10. Kulisse Wien.

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