Blaues Wunder
Als mir bei einem Sommerfest der Gastgeber ein Glas Wein anbot, antwortete ich: „Danke, aber ich trinke keinen Alkohol“. Danach blickte ich in ein kreidebleiches Gesicht. Ich hatte den Eindruck, mein Gegenüber durchlebt gerade eine Nahtoderfahrung. Auf einem niederösterreichischen Sommerfest Alkohol zu verweigern, kommt anscheinend genau so oft vor wie eine Dragqueen-Einlage am Parteitag der Taliban. Sofort flüsterte ich dem Gastgeber beruhigend ins Ohr: „Okay, du erfährst es als Erster. Ich bin schwanger“. Für einen Augenblick schaute der Gastgeber tatsächlich auf meinen Bauch. Danach lächelten wir beide.
Die Verweigerung von Alkohol führt in Gesellschaft immer wieder zu Rechtfertigungsdruck. „Bin mit dem Auto hier, auf Entzug oder mach am Wifi eine Ausbildung zum Imam“. Bei einer Ablehnung von Mineralwasser fragt niemand nach.
Ich verzichte nicht endgültig auf Alkohol. Doch nach vielen Jahren, in denen Gin, Zirben und kubanischer Rum meine spirituose Dreifaltigkeit bildeten, war es an der Zeit, mit Leber und Kleinhirn ein Trink-Sabbatical zu vereinbaren. Der Alkohol durchtränkt auf sehr subtile Weise unsere Gesellschaft.
Vor Kurzem wurde mir eine Einladung zur Wein-Verkostung mit Alpaka-Wanderung zugeschickt. Das heißt, man torkelt von Heurigen zu Heurigen, hält sich dabei immer fester am Alpaka an, welches einen dann nach Hause bringt. Ich glaube, die Alpakas würden am liebsten vor Begeisterung aussterben. Gleichzeitig wird in immer mehr Supermärkten Kindersekt und Kinder-Mojito angeboten. Die Angst des Getränkehandels, dass zu wenig Alkoholiker nachkommen, dürfte groß sein. Vermutlich steht irgendwann auf einer Säuglingsflasche „Baby-Muskateller“. Vielleicht sollten wir spätestens dann über den Begriff Frühförderung nochmals nachdenken.
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