Äpfel und meine selektive Geräuschintoleranz

Wenn draußen zum x-ten Mal das Auto des Nachbarn aufgeregt hupt, weil ein Hund zu seinem Reifen pinkelt, lässt mich das kalt.
Simone Hoepke

Simone Hoepke

Aus unerfindlichen Gründen schleppe ich erstaunlich viele Visitenkarten von mir völlig unbekannten Menschen mit mir herum. Das Interessante daran – sie alle scheinen auf ein Fax zu warten. Überall sind prominent Fax-Nummern aufgedruckt. Ich vermute, aus reiner Boshaftigkeit.

Wenn ich so eine Visitenkarten-Bekanntschaft anrufe, erwische ich mit erstaunlicher Treffsicherheit die Durchwahl vom Fax. Ich habe schon einen Pfeifton-Tinnitus. Noch nervender als das schrille „Ätsch, das ist das Fax“-Pfeifen im Hörer ist nur das Kratzen von Fingernägeln auf Schultafeln. Oder das Knacken, wenn jemand in einen Apfel beißt.

Ich gebe zu, ich leide an einer selektiven Geräuschintoleranz. Wenn draußen zum fünften Mal am Tag das Auto des Nachbarn aufgeregt hupt, weil ein Hund zu seinem Reifen pinkelt, lässt mich das kalt. Auch das Bellen des Hundes blende ich aus. Aber wenn jemand in einen Apfel beißt, hau’ ich die Nerven weg. Augenblicklich.

Bisher dachte ich, ich habe einen Vogel. Jetzt lerne ich, dass es dafür einen Fachausdruck gibt: Misophonie. Ein gestörtes Verhältnis zu bestimmten Geräuschen, wie Kaugummikauen, Rotzhochziehen oder eben das Knacken, wenn jemand in einen Apfel beißt.

Neulich im Flugzeug: Die Stewardess verteilt Äpfel. Gratis! Gierig greifen alle zu. Auch das rotzige Wesen neben mir, das sich bisher wie eine Termite durch eine Chips-Packung gefressen hatte.

Ich hau’ die Nerven weg. Mache, was ich bei jedem Apfel-Alarm mache. Flüchte so weit ich kann, komme bis zur Klotür vor dem Notausgang. Dort steht eine Leidensgenossin. Misophonie, referiert sie um Fassung bemüht, haben drei Prozent der Deutschen. Es gibt sogar Therapien, in denen die negativen Emotionen positiv aufgeladen werden. Das Krachen beim Chipsessen hört sich so fast so romantisch an wie das Knirschen von Schnee unter den Schuhsohlen.

Ich fahre jetzt ins verschneite Tirol. Aus Sicherheitsgründen mit dem Zug. Schaffner verteilen keine Äpfel.

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