Zu abenteuerlichen "Reisen" gezwungen

Vor und hinter der Mauer
Berührend aber auch bedrückendes Zusammenspiel von Kindern, Tänzer_innen und Musikerinnen im Rahmen von „Wien Modern“ im Dschungel Wien.

Es könnte sich um Szenen eines abenteuerlichen Urlaubs in einem Waldgebiet handeln. Doch die Musik - Koehne Quartett: Joanna Lewis, Diane Pascal, Lena Fankhauser, Mara Achleitner – irritiert. Sie wirkt – natürlich bewusst - nicht harmonisch, eher dissonant. Und die Kinder kriechen aus Koffern und Reisetaschen heraus. Besonders krass wirkt das Bild wo ein Mädchenkopf aus einer solchen Tasche, die ein Tänzer um den Hals trägt, rausschaut – etliche Momente lang als wäre er von einer lebensechten Puppe.

Nun, schon der Flyer und die Information zu „Über uns nur der Himmel“ nennt den Zusammenhang, vielleicht sogar Ausgangspunkt für die Überlegung zu diesem Musik- und Tanzstück: Mehr als zwei Millionen Kinder sind unter den insgesamt rund 60 Millionen Menschen dieser Welt die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind, sei es aufgrund von Kriegen, Verfolgung oder auch „nur“ – wie es oft verharmlosend behauptet wird – purer Not und Aussichtslosigkeit. Nicht wenige der älteren Kinder und Jugendlichen sind oft allein auf sich gestellt – weil sie die einzigen waren, für die die Familie das Geld für die Flucht auftreiben konnten oder weil sie auf der Flucht von ihrer Familie getrennt wurden.

Da sind in der Tat ganz arg abenteuerliche Erlebnisse darunter, denen solche Kinder ausgesetzt sind. Allein, es handelt sich nicht um freiwillige und schon gar nicht um kurzzeitig begrenzte Urlaube.

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Verschleppt oder verspielt?

Zwischen Angst und Spiel

Zwischen einem Hügel aus Seilen und einem aus Laub, auf dem die vier Streicherinnen Musik von rund einem Dutzend verschiedener Komponist_innen spielen, treffen die aus allen Richtungen kommenden Tänzer_innen - Jaskaran Anand, Silvia Both, Lino Eckenstein, René Friesacher, Roni Sagi - mit ihren Gepäckstücken wie auf einer Waldlichtung aufeinander. Kunstsprachfetzen symbolisieren, sie kommen auch aus verschiedenen Sprachkulturen. Wenige Worte stellen den Bezug zu „Zugvögeln“ her. So wie diese scheinen die Kinder auf den Schultern der Tänzer_innen im Flug schlafen zu können.

Annäherung, miteinander spielen, Träume – auch von unbeschwerteren Zeiten – ob als Erinnerung oder als Hoffnung wechseln ab mit bedrohlichen, echt stark Angst einflößenden Szenen. Die Atmosphäre letzterer wird nicht nur durch die entsprechende Musik erzeugt, sondern auch durch mitunter fast gruselige Lichtkegel inmitten dichter Dunkelheit. Mal kuscheln sich die Kinder an die fast monsterartig verkleideten Tänzerinnen, dann wieder müssen sie sich gegen diese- nun nicht mehr verkleidet – wehren, um ihre Freiheit kämpfen.

Und dann ist da diese verschiebbare, durchscheinende gewellte Kunststoffwand – eine (Grenz-)Mauer?

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Die fünf Kinder, hier einmal in einer eher geborgenen Situation

Kurzinterviews

Nach dem rasend-tobenden, schier nicht endenden Applaus am Ende der Premier, stellen sich vier der fünf euphorisierten Kinder einem Kurzinterview mit dem Kinder-KURIER: Laura Biz (12), Greta Follak (11), Sina Pourkarami (9) und Sophia Valentina Gomez Schreiber (8). „Wir haben schon im Sommer zu proben begonnen“, beginnen sie den Entstehungsprozess zu schildern. „Da haben wir viel improvisiert.“ Die beiden Choreografinnen Corinne Eckenstein & Sanja Tropp Frühwald suchten die passendsten Teile aus diesen Improvisationen aus mit denen dann weitergearbeitet wurde.

„Und wir waren einmal in einem Flüchtlingsheim (Haus Liebhartsthal für rund 200 Kinder und ihre Familien aus Afghanistan, Iran, Irak und Somalia). Dort haben wir mit den Kindern gespielt und im Garten ein Picknick gehabt. Wir haben sie zu ihren Träumen gefragt. Und das haben wir dann auch irgendwie in unsere Improvisationen eingebaut“, erzählen sie – mitunter abwechseln, manchmal fast im Chor oder durcheinander.

Szenenfotos aus "Über uns nur der Himmel"

Zu abenteuerlichen "Reisen" gezwungen

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Infos: Was? Wer? Wann? Wo?

Über uns nur der Himmel
Dschungel Wien & Wien Modern
weiterentwickelt aus dem Projekt „Living Realities, Changing Perceptions“
Tanz- und Musiktheater, 70 Minuten, ab 8 J.

Gesamtleitung: Corinne Eckenstein
Choreografie: Corinne Eckenstein & Sanja Tropp Frühwald
Tanzcoach Kinder: Gat Goodovitch

Tänzer_innen: Jaskaran Anand, Silvia Both, Lino Eckenstein, René Friesacher, Roni Sagi
Kinder: Laura Biz, Greta Follak, Sophia Valentina Gomez Schreiber, Sina Pourkarami, Sam Tosun

Musik: Koehne Quartett: Joanna Lewis, Diane Pascal, Lena Fankhauser, Mara Achleitner
Musik: Christine Burke, Angelica Castello, Denis Dufour, Joanna Lewis, György Ligeti, Dimitirs Mousouras, Max Nagl, Thomas Pernes, Werner Pirchner, John Psathas, Michael Radanovics, Adnan Saygun, Peter Sculthorpe, Paul Stanhope

Bühne, Kostüm: Ilona Glöckel
Assistenz: Jana Püscher
Produktion: Fariba Mosleh, Annamária Waliczky

Wann & wo?

Bis 21. November 2018
27. Bis 31. Jänner 2019

Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-20
www.dschungelwien.at

15./16. Dezember 2018
Brunnenpassage: 1160, Brunnengasse 71/Yppenplatz
Telefon: (01) 890 60 41
www.brunnenpassage.at

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