Wenn du’s nicht hörst, kannst du’s lesen

Die Jugendlichen und die Testerin ihrer App
Jugendliche der HTL St. Pölten entwickelten App für Schwerhörige mit einfacher Bedienung und testeten sie in einem Altersheim.

„Ich habe nicht gewusst, wie leicht ein Computer zu bedienen ist, Ich bin begeistert“, freut sich Anna Lehner. In dem Fall meint sie allerdings keinen Computerkurs, sondern eine App, die ihr von vier Jugendliche der HTL St. Pölten vorgestellt wurde und die sie testen konnte. Die 80-jährige Frau hört sehr schlecht, auch ihr akustisches Hörgerät hilft da nicht immer. Julia Übl, Katharina Munk, Hannah Mayer und Alexander Piglmann von der Informatik-Abteilung der besagten Schule in der Landeshauptstadt haben in ihrem Maturaprojekt eine Übersetzungs-App entwickelt, die gesprochene Worte praktisch in Echtzeit in geschriebene Sprache überträgt.

Somit kann Frau Lehner auf einem Smartphone oder Tablet lesen, was gesprochen wird. Das Quartett hat sogar eine Variante entwickelt, dass diese Schrift auf schmalen Displays einer Augmented (erweiterte) Reality-Brille (AR) gelesen werden könnte. Diese Variante eignet sich allerdings besser für junge Computerspieler, gestehen die vier Erfinder_innen.

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Julia Übl und Alexander Piglmann

Schon, aber unsere ist besser

„Aber solche Apps, die Gesprochenes in Geschriebenes übertragen, gibt es ja schon, was ist das Neue an eurer Entwicklung?“, wollte der Kinder-KURIER wissen.
„Unserer App verwendet Künstliche Intelligenz (KI) und baut auf dem Speech-to-Text Algorithmus von Google auf, der schon sehr gut, fast fehlerfrei, funktioniert.
Der von uns verwendete Algorithmus kann nicht nur einzelne Wörter erkennen und diese wiedergeben, sondern ganze Sätze. Dabei kann er auch Satzstellung und Semantik erkennen und sich selber korrigieren. So kann es passieren, dass der Algorithmus bereits geschriebene Wörter wieder löscht und neu schreibt, da er erkannt hat das deren Bedeutung anders ist als zunächst vermutet.“

Die Android-App, genannt „Lies mal, Opa!“, arbeitet also mit dem was oft „Deep Learning“ genannt wird, lernt also selbstständig dazu, verbessert somit durch jede Anwendung die Übersetzungsleistung vom Gesprochenem zum Geschriebenem.

Leichte Bedienung

Die vier Schüler_innen achteten bei ihrer Entwicklung im Fach Projektentwicklung (Lehrkraft: Sigrid Wieser) auch darauf, dass die App sehr leicht zu bedienen ist, um mögliche Berührungsängste bei der Zielgruppe erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dies wird durch eine einfache Bedienung, ein Klick auf einen Button reicht. Außerdem lässt sich die Größe, in der der Text angezeigt wird, leicht verstellen und darüber hinaus funktioniert die „Übersetzung“ auch offline, also sogar ohne Internet-Verbindung.

Begeistert waren die Testerinnen und Tester in einem Seniorenheim vor allem von der Bedienung, die so einfach ist, dass jede und jeder spätestens nach 10-minütigem „Training“ problemlos damit umgehen konnte.

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Alexander Piglmann mit der AR-Brille

Erfahrungen im Umfeld

Auf die Idee zu „Lies mal, Opa!“ kamen sie, wie sie im Telefonat mit dem Kinder-KURIER erklärten, durch Erfahrungen im eigenen Bekannten- und Verwandtenkreis mit älteren, sehr schwerhörigen Menschen. Zu Beginn testeten sie verschiedene bestehende Algorithmen, arbeiteten am bedienungsfreundlichen Design, testeten die App in einem Altersheim. Rückmeldungen der Betroffenen nutzten sie zur ständigen Verbesserung der Applikation. Zuletzt zeigten sich die Testpersonen wie die eingangs zitierte Frau Lehner, sehr zufrieden.

Allerdings werden die vier ihre App nicht veröffentlichen, „weil wir keinen weiteren Support nach der Matura bieten können“.

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Anna Lehner

Inklusion

Ziel dieses Projekts ist es, schwerhörige Personen dabei zu unterstützen, die Kommunikation zwischen ihnen und anderen Menschen deutlich zu verbessern. Die App soll dann eingesetzt werden, wenn herkömmliche akustische Hörgeräte ihren Zweck nicht (mehr) erfüllen. Soziale Ausgrenzung soll dadurch verhindert und das Zusammenleben, möglichst ohne Benachteiligungen, gefördert werden.

Wir wollten auch wissen, ob im Großen und Ganzen nicht dennoch Hörgeräte, die auch ständig verbessert werden, die bessere, einfachere Alternative seien.

Die Schüler_innen betonten, ihre App solle keinesfalls Hörgeräte ersetzen, sondern nur dann eingesetzt werden, wenn Betroffene mit Hörgeräten nicht mehr ausreichend gut vernehmen, was jemand sagt.

Solche schwerhörige bzw. gänzlich gehörlose Menschen, die keine akustischen Hörgeräte mehr verwenden können, waren bisher von der Kommunikation weitgehend ausgeschlossen. „Ich bin sicher, dieses Programm kann vielen Menschen helfen“, meinte dazu die schon eingangs zitierte Anna Lehner.

Arbeitsteilung

Projektleiterin Katharina Munk und Alexander Piglmann beschäftigten sich mit dem Test verschiedener Algorithmen und ihrem Einbau in die App. Julia Übl kümmerte sich um das Design der Applikation und Hannnah Mayer war für das professionelle Projektmanagement verantwortlich.

Mit „Lies mal, Opa!“ hatten es die vier Schüler_innen ins Finale des achten AXAwards geschafft, wo allerdings alle vier verhindert waren und ihre Arbeit daher nicht bewertet werden konnte. Kürzlich präsentierten die Jugendlichen ihr Projekt auch im Finale des Wettbewerbs „Vektor“ der Fachgruppe Ingenieurbüros in der niederösterreichischen Wirtschaftskammer und gewannen die Kategorie „sonstige Fachgebiete“ (neben Maschinenbau und Gebäudetechnik).

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