Wenn Alte vor Jugendlichen auf der Bühne zeitweise ausflippen
„Für euch ist es wahrscheinlich auch was Neues, ausgeflippte Alte tanzen zu sehen“, wendet sich Nora an das überwiegend jugendliche Publikum. AkzepTANZEN eröffnete den Reigen eines kleinen, dreiteiligen Festivals ALTERnativeTANZ. Die vor zehn Jahren gegründete Age Company Wien eröffnet nicht mehr ganz jungen Menschen, die gerne tanzen, die Möglichkeit dieser Leidenschaft auch performativ zu frönen - neben bzw. nach den jeweiligen Berufen.
Auf das Ausflippen musste das jugendliche Publikum dann doch warten, die Performance AkzepTANZEN begann eher ruhig mit einem Mann der ziemlich monoton seine Kreise auf der Bühne zieht. Aber bei Einsetzen der Musik, durchzucken rhythmische Bewegungen viele seiner Körperteile. Mach und nach gesellen sich auch die meisten der auf zwei Sesselreihen auf der Bühne sitzenden anderen Teilnehmer_innen der Gruppe hinzu. Musik und Tänze werden auch zunehmend bewegter – ob in kurzen Solo-Auftritten oder gemeinsamer Gruppen-Choreografie. Nur eine Tänzerin bleibt gut eine halbe Stunde abseits, steht höchstens auf, um den Sitzplatz zu wechseln.
Spiel mit Rollen und Klischees
Als sie endlich zur Gruppe stößt, bringt sie eine Wollkugel mit, umwickelt alle anderen und animiert seinige, die sich aus der Umwickelung lösen, zu (alten) Kinderspielen. Zwischendurch spielen einige der Alten auch tänzerische Szenen, die auch (Rollen-)Klischees hinterfragen. Vielleicht am offensichtlichsten, wenn einer der wenigen Männer mit den Boxhandschuhen agiert – einmal sanft und tänzerisch, dann wieder luft-boxend, bis er die Fäustlinge von sich schleudert.
Zwischendurch, wenn Rhythmen und Bewegungen flotter wurden, ließen sich so manche der Jugendlichen im Publikum auch zum rhythmischen Mitklatschen und Anfeuerungsrufen hinreißen. Wie auch immer, das Dutzend älterer Menschen demontiert so manche Klischee-Vorstellung – und das war ja wohl – neben dem Spaß für die Beteiligten – die Absicht ;)
„Wenn ich tanze, fühle ich mich alterslos“
Am zweiten Abend des kleinen Festivals mit dem Namensspiel ALTERnativeTANZ zeigten zunächst neun Tänzer_innen – zwischen 69 und 90 Jahren - der Hamburger Gruppe „My Way“ (Mein Weg) unter dem etwas kryptischen Titel MW*5 tänzerische Bewegungen mit Handtüchern. Die „verwandelten sie zu Schwungtüchern ebenso wie zu Ausreibfetzen oder Telefonhörern samt langem Kabel, fügten sie zu einer gemeinsamen Fläche zusammen, auf der sie vorwärts gingen oder falteten sie in Origami-Art. Aus dem Off wurden die zuvor aufgenommenen Beweggründe einiger der Tänzer_innen für ihre Bewegungslust eingespielt. Mehrfach schwang die Freude und Erleichterung mit, nun im Alter nichts mehr zu müssen und sollen, und sich zuzugestehen, durchaus auch befreiende Kraftausdrücke verwenden zu dürfen.
Die beiden den Großteil des Lebens bestimmenden Begriffe wie sollen und müssen hätten ausgedient – das meinten auch die aus Wien kommenden fünf „wirbelnden Weiber“ in „Seven Saisons“ gegen Ende ihrer Performance. In der hatten sie zu unterschiedlichster Musik – von Pop und Rock über Klassik bis zu Techno – teils minimalistisch – getanzt.
Eine Art getanztes Interview führte zum Abschluss dieses Abends die Choreografin Liz King mit dem 69-jährigen Tänzer Harmen Tromp.
Im anschließenden Publikumsgespräch meinte eine der Tänzer_innen des Abends: „Wenn ich tanze fühle ich mich alterslos“ - was für viele ihrer Kolleg_innen zu gelten scheint.
Generationen-übergreifend
Der dritte und letzte Abend des kleinen, über Crowdfunding finanzierten Festivals ALTERnativeTANZ brachte zwei generationen-übergreifende Aufführungen. Studierende der Wiener Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MuK) und (ältere) Teilnehmer_innen des Forschungsprojekts mit dem einigermaßen sperrigen Titel „Catch the Moment. Künstlerische Verfahrens- und Vermittlungsformen im zeitgenössischen Tanz für Menschen 55+“ erkundeten die Bühne mit ihren Bewegungen. Und das gar nicht so sperrig, wenngleich sie sehr langsam starteten und sich in die Annahme versetzten, im Inneren des Kopfes unterwegs zu sein – samt diversen unsichtbaren Wänden, die ihnen im Weg stehen. Denen sie ausweichen, jedenfalls tänzerisch überwinden.
Wege suchen und finden – weniger vom Kopf, als mehr vom Körper aus – das wurde auch immer wieder während des Festivals thematisiert. Körper-Erinnerungen und –Gedächtnis war ein mehrfach genannter Begriff, der vielen der teilnehmenden Gruppen und vor allem Menschen wichtig ist.
So auch der Body Focus Group aus dem Südburgenland. In „Tracking“ stellen sich die neun Teilnehmer_innen anfangs vor. Die Bandbreite reicht von der Sozialarbeiterin bis zum Tischler. Auch sie erkunden eher langsam, bedächtig, jeden Schritt auskostend den gesamten Bühnenraum, agieren immer wieder auch in Klein(st)-Gruppen bis sie gegen Ende sich zu einem gemeinsamen „Haufen“ zusammenfinden in dem sie sich miteinander bewegen als wären sie eins.
Akrobatik auf der einen und einen Schuss Selbstironie auf der anderen Seite brachten zum Abschluss die gemeinsam 150 Jahre alten/jungen fünf Tänzerinnen – aus drei Generationen – auf die Bühne: tanz.ccop zeigte „Age Surfer’s Symphony“ mit nicht nur symphonischer, sondern unterschiedlichster Musik, beispielsweise Disco, Pop und Rock. Die jungen Mädchen turnten zirkusmäßig, klopften dazu so manche Sprüche über Tanz und die Welt, die allerjüngste betrachte häufig das Geschehen zwischen interessiert, belustigt und „was machen denn die da?“ in Positionen wie im Spagat lümmelnd und die Älteste schien sich tanzend auch ein bisschen selbst auf die Schaufel zu nehmen…
AkzepTANZEN
Age Company Wien
Tanzperformance, ca. ¾ Stunde
Im Rahmen des Festivals
ALTERnativeTANZ
Choreografie: Nicole Berndt-Caccivio
Musik, Bühne, Kostüm: Age Company
Performer_innen: Axel Anselm, Nora Aschacher, Evelyn Gessl, Eva Glöckner, Walter Heckenthaler, Maria Keita-Wadsack, Susanne Claudia Krasny, Veronika Kritzer, Antonia Lersch, Heinrich Lersch, Monika Mar, Sigrid Prihoda
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Tanzt, tanzt, tanzt – vor allem aus der Reihe
Drei Kurzstücke an einem Abend, 70 Minuten
Ab 12 Jahren
MW*5 | My Way (Hamburg)
Choreografie: Gabriele Gierz
Darsteller_innen: Birgit Gabriel, Silke Goldbek-Löwe, Achim Hartlep, Ingrid Hartlep, Hanne Heimann, Ulla Kastrup, Christel Müller-Schwefe, Heidi Rebel, Inge Rippe, Maiken Sahling, Renata Schwarz, Inga Weinhold, Karin Wiegmann, Edith Ziegenfuss
Seven Seasons | Wirbelnde Weiber
Projektleitung, Choreografie: Julia Danzinger
Kostüm: Saskia Pauls, Andrea Steindl
Performance: Sylvia Deixler, Gabriele Herbst, Helga Kares, Saskia Pauls, Andrea Steindl
In diesem Körper irgendwo
Liz King & Harmen Tromp
2. Oktober 2019; 19 Uhr
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Short Cuts – Gang Art – Back to the roots
Drei Kurzstücke an einem Abend, 65 Min.
Ab 12 Jahren
Catch the Moment|MUK Wien
Künstlerische Leitung: Manfred Aichinger, Assistenz: Beata Bauder
Performer_innen: TeilnehmerInnen des Forschungsprojekts „Catch the Moment/Künstlerische Verfahrns- und Vermittlungsformen im zeitgenössischen Tanz für Menschen ab 55+“
Oliver Arnold, Heidemarie Etzelt, Ann Birgit Höller, Editha John, Lisa Kaan, Andrea Kapferer, Dagmar Kappke, Irmgard Kölbl, Jana Mark, Margarethe Predović, Cornelia Nalepka, Uschi Pfeifer, Judith Stmerdink-Herret, Eva Maria Tacha-Breitling
Tracking | Body Focus Group
Leitung: Liz King
9 Mitglieder der Body Focus Group: Menschen zwischen 45 und 74 Jahren
Daniela aus der Schmitten, Natascha Frey, Monika Swoboda, Barbara Peindl, Doris Seel, Len Hannah-Hammerl, Natalia Szeier, Gabi Wagner, Klaus Kleinschuster, Christa Wagner
Age Surfer´s Symphony | tanz.coop
Choreografie: Gisela Elisa Heredia
Sophie Mac Gregor, Soraya Leila Emery, Marina Rützler, Martina Varga, Christina Zauner
3. Oktober 2019, 19 Uhr
Alle: Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522-07-20-20
www.dschungelwien.at
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