Von Bravos Dr. Sommer zu Hermann Hesse

Der Schauspieler in der 8b des rivaten Gyms Mary Ward in St. Pölten
Solo-Schauspieler spannt beim Klassenzimmerstück „Demian“ in einer Unterrichtsstunde einen Bogen über 100 Jahre Coming of Age.

Ein wenig werden die Tische in der 8b des privaten Gymnasiusm Mary Ward (vormals der Englischen Fräulein) in der St. Pöltner Schneckgasse zur Seite gerückt. Der Schauspieler braucht mehr Platz als eine Lehrkraft. Philip Leonhard Kelz, ein junger Schauspieler, setzt sich hinter einen knapp vor der Tafel aufgestellten Tisch. Auf dem liegen sechs unterschiedlich große rosa Schachteln, eine bunte Kunststoff-Brille mit dem Schriftzug „Happy Birthday“. Und eine relativ aktuelle Ausgabe der legendären Jugendzeitschrift „Bravo“.

In dieser beginnt der Schauspieler zu blättern und einzelne Beiträge oder Auszüge aus solchen vorzulesen, auch aus der berühmten „Dr.-Sommer“-Rubrik. Und dann liest er einige Zeilen, die sich auch um Fragen drehen, die Jugendliche in der Pubertät beschäftigen. Die sind aber von Hermann Hesse aus dem Roman „Demian“. So heißt auch das Klassenzimmer-Theaterstück, mit dem das niederösterreichische Landestheater (Regie: Anna Marboe) den Schauspieler auf Tour durch Schulen – des ganzen Bundeslandes, wenn Interesse besteht aber auch nach Wien – schickt.

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Mobbing

Während Kelz das Zitat aus Hesses Roman verliest, erhebt er sich von seinem Sitzplatz und beginnt in den freien Raum zwischen den Schultischen zu wandern. Er wird zur Hauptfigur des Romans, Emil Sinclair. Das ist übrigens auch das Pseudonym unter dem Hermann Hesse diesen Roman ursprünglich veröffentlicht hat. Dieser Emil schwankt zwischen behütetem Kind und irgendwie schon Jugendlicher sein wollen. Als solcher will er vom sich sehr cool gebenden 13-jährigen Franz Kromer akzeptiert werden. Dafür erfindet Emil die Geschichte eines Diebstahls, eines Sacks voller bester Äpfel.

Nun beginnt Franz ihn damit zu erpressen und verlangt Geld. Das hat Emil nicht und so leidet er ständig unter Angst.

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Helfer

Da taucht Max Demian auf, der – wie auch immer – Emil von seinem Erpresser befreit. „Wenn man jemand fürchtet, dann kommt es daher, dass man diesem Jemand Macht über sich eingeräumt hat. Man hat zum Beispiel etwas Böses getan, und der andere weiß das. Dann hat er Macht über dich“, erläutert Demian dem Erpressten die Funktionsweise dessen, was da passiert (ist).

Von Bravos Dr. Sommer zu Hermann Hesse

Der Solo-Schauspieler schlüpft in alle Rollen

Philosophieren

Als vierter im Bunde des – natürlich extrem stark gekürzten – Stücks (alle Frauenfiguren fehlen komplett) taucht Pistorius, der Orgelspieler einer kleinen Kirche auf. Der lädt Emil vor allem zum Gedankenspielen ein: „Kommen Sie, wir wollen jetzt ein wenig Philosophie übern, das heißt das Maul halten, auf dem Bauch liegen und denken.“ Dieses Zitat führte bei den Jugendlichen der 8b zu kräftigem Lachen – mit vielen Blicken auf die Philosophie-Lehrerin ;)

Während Emil Sinclair mit Pistorius im weiteren Verlauf viele Gedanken über das Leben, nicht zuletzt solche zwischen Gut und Böse, Ver- und Geboten wälzt, ist Max Demian sein Begleiter in lebenspraktischen Fragen – immer wieder aber auch mit einem Schuss tiefgründiger Gedanken, die Hintergründe des Geschehens ausleuchten.

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Alles nur eins?

Vielleicht aber sind alle anderen Personen auch „nur“ Gedanken und Teil im heranwachsenden Emil, den Hesse einmal sagen lässt: „Nichts auf der Welt ist dem Menschen mehr zuwider als den Weg zu gehen, der ihn zu sich selber führt.“

Und Pistorius legt der Autor diesen Satz in den Mund: „Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“

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Requisiten und Musik

Hin und wieder greift der Schauspieler zu der einen oder anderen der eingangs beschriebenen Boxen, öffnet sie und entnimmt – nein das sei jetzt nicht verraten – das eine oder andere passende Requisit. Manchmal wird das Schauspiel auch von Musik unterbrochen. Zur jeweiligen Szene passend wird der eine oder andere Song von Billie Eilisch eingespielt. Durch ihre Jugend (18 Jahre) ist sie noch der Coming-of-Age-Phase (wie seit einigen Jahren vormalige Entwicklungsromane „Neudeutsch“ genannt werden) sehr nahe. Und sie hat sich intensiv mit ihrem Lebensstil auseinandergesetzt und schon früh beschlossen, Überzeugungen konsequent zu leben (kein Fleischkonsum).

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Emil Sinclair
Nichts auf der Welt ist dem Menschen mehr zuwider als den Weg zu gehen, der ihn zu sich selber führt.“

Max Demian
„Verboten ist nichts Ewiges, es kann wechseln. Darum muss jeder von uns für sich selber finden, was erlaubt und was verboten – ihm verboten ist. Wer zu bequem ist, um selber zu denken und selber sein Richter zu sein, der fügt sich eben in die Verbote, wie sie nun einmal sind ...“

„Wenn man jemand fürchtet, dann kommt es daher, dass man diesem Jemand Macht über sich eingeräumt hat. Man hat zum Beispiel etwas Böses getan, und der andere weiß das. Dann hat er Macht über dich.“

Es ist gut, das zu wissen, dass in uns drinnen einer ist, der alles weiß.“

Pistorius
„Junge, ich weiß, dass Sie Träume haben müssen, die Sie mir nicht sagen. Ich will sie nicht wissen. Aber ich sage Ihnen: Leben Sie sie, diese Träume, spielen Sie sie, bauen Sie ihnen Altäre. Sie sind achtzehn Jahr alt, Sinclair Sie müssen Liebesträume, Liebeswünsche haben. Vielleicht sind sie so, dass Sie sich vor ihnen fürchten. Fürchten Sie sich nicht! Sie sind das Beste, was Sie haben.“

„Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“

„Die Dinge, die wir sehen, sind dieselben Dinge, die in uns sind. Es gibt keine Wirklichkeit als die, die wir in uns haben.“

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Beeindruckt

Die Jugendlichen, die allesamt die ganzen 50 Minuten voll konzentriert blieben - beeindruckte, wie sie im Gespräch nach dem Stück fast reihum sagen, dass der junge Schauspieler – für den Klassenzimmertheater übrigens ziemlich neu war - ansatzlos von einer Sekunde zur anderen in die verschiedenen Rollen schlüpfte mit einer anderen Färbung der Sprache, geänderten Bewegungen usw. Angetan waren die Jugendlichen auch davon, dass Philip Leonhard Kelz immer wieder Blickkontakt zu ihnen aufgenommen und gehalten hatte. Und dass er es geschafft hatte, dass sich so manche von ihnen plötzlich nicht mehr im Klassenzimmer, sondern in der jeweiligen Situation von Emil gefunden hätten.

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Von Bravos Dr. Sommer zu Hermann Hesse

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Demian - Die Geschichte einer Jugend
von Hermann Hesse
Klassenzimmertheater
50 Minuten

Inszenierung: Anna Marboe
Es spielt Philip Leonhard Kelz

Wie?
Schulen, die am Klassenzimmertheaterstück „Demian“ Interesse haben, können sich beim NÖ. Landestheater St. Pölten melden (Kosten 6 €/Schüler_in)

Julia Perschon: (02742) 90 80 60-694
Julia.perschon@landestheater.net

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Klassenfoto der 8b mit Theaterleuten, Lehrerin und Direktorin

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