Vielfach gespaltene Persönlichkeit

Eine Frau gestikuliert auf der Bühne, während zwei Männer im Hintergrund knien.
„Die Reise“, Romanessay von Bernward Vesper in einer heftigen Literaturperformance im Werk X Petersplatz (Wien).

Eine windschiefe, gespaltene Hausfassade dominiert die Bühne im Werk X Petersplatz (Wien) bei „Die Reise“. Anfangs. Und am Ende.

Als Literaturperformance angekündigt, ist es der – ziemlich gut gelungene - Versuch, das gleichnamige rund 700-seitige Buch samt Fragmenten von Bernward Vesper in Szene zu setzen. Die echten, Kopf- und Psychoreisen – sei es in Erinnerungen, der Fantasie, in (Drogen-)Räuschen oder „nur“ Phasen besessenen Schreibens – werden in ihrer Vielschichtigkeit inszeniert (Regie: Kathrin Herm). Die Person um die sich alles dreht, der Autor selbst, der 1971 seinem Leben ein Ende setzte, wird von den drei Performer_innen Aleksandra Ćorović, Aaron Friesz und Robert Huschenbett zum Leben erweckt. Mal abwechselnd, mal fast gleichzeitig, choral, spielen sie seine Texte – und damit Gedanken und Gefühle. Ein Kniff, der vielleicht am besten der vielfachen Widersprüchlichkeit Vespers gerecht wird. Gespielt wird mit heftigstem körperlichen Einsatz bis an die Grenze der Erträglichkeit.

Ein Mann sitzt auf einer Bühne vor einer Projektion während einer Theateraufführung.

Szenenfoto aus "Die Reise"

Gegensatz zu den Eltern

Schon früh eine Schlüsselstelle: Das Kind Bernward wird heftig und gewaltsam gezwungen aufzuessen. Kaum hat er scheinbar alles runtergeschlungen – bzw. in den Wangen versteckt – rennt er raus und laute Kotzgeräusche sind zu vernehmen.

Bernward Vesper begann sich als Jugendlicher und junger Erwachsener sehr kritisch mit seinem Elternhaus auseinanderzusetzen. Sein Vater Will war Autor, nationalistischer Dichter, Mitglied der faschistischen Partei NSDAP, schon früh Anhänger Hitlers und bereitete höchst aktiv die Bücherverbrennungen 1933 (10. Mai) vor.

Außerdem kritisierte der junge Vesper radikal das kapitalistische System und seine Protagonisten, näherte sich sogar der extremistischen, terroristischen RAF (Rote Armee Fraktion) an. Einige Zeit war er mit einer der RAF-Mitbegründerinnen, Gudrun Ensslin liiert.

Eine Szene aus dem Theaterstück „Die Reise. Ein Trip.“ mit Alexander Gotter.

Szenenfoto aus "Die Reise"

Viele Facetten

Die vielen Facetten des Revoluzzers werden unterschiedlich sichtbar gespielt. Je mehr er sich mit seiner Familie und deren Ideologie auseinandersetzt, desto mehr nehmen die drei Bernward Vespers die Hütte auseinander, mal nur Wände verschieben, dann wieder Sessel durch die Gegend schmeißend.

Ein Mann mit Fellmantel steht mit den Füßen in einer Toilette, während ein anderer in einer Badewanne liegt.

Szenenfoto aus "Die Reise"

Widersprüchlichkeiten

Andererseits bemühte er sich genau mit ihr um die Herausgabe des Werks seines Vaters. Manche Texte, so halten ihm Literaturkritiker_innen vor, ähneln in ihrer Diktion, in ihren Formulierungen, dem Duktus des Vaters und seiner Gesinnungsfreunde. „Hitler klebt wie Napalm an mir“, wird Bernward Vesper in der Performance mehrfach zitiert. Und es ist nicht nur „die Sch… in die wir hineinerzogen werden“. Was in der Performance nicht vorkommt ist der Sager den die überzeugte faschistische Mutter dem Sohn an den Kopf geworfen haben soll: „Du verdankst Hitler dein Leben.“

Ihr Ehemann wollte nach fünf Kindern kein weiteres mehr. Doch als der „Führer“ seine Untertanen aufforderte, möglichst viele Kinder für das „Reich“ zu zeugen und gebären, gab’s Bernward als sechstes Kind der alten Vespers.

Ein Mann steht neben einer Badewanne, in der eine weitere Person in rotem Wasser liegt.

Szenenfoto aus "Die Reise"

Zu viel vorausgesetzt

Das allerdings kommt in der Performance nicht vor, würde aber einiges vielleicht besser verständlich machen. Manko des großartigen Abends ist, wie manche Besucher_innen anmerkten, dass zu viel Vorwissen vorausgesetzt wurde/wird.

Tu was!

Dennoch greift die Performance den fast immerwährenden Kampf Bernward Vespers in der Auseinandersetzung mit herrschenden Verhältnissen auf, die Suche, den Willen zur Veränderung, auch wenn der Schlussappell nach Revolutionär_innen aller Berufe ein wenig aufgesetzt und plakativ wirken mag.

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Eine Szene aus dem Theaterstück „Die Reise. Ein Trip.“ mit Alexander Gotter.

Ein Mann im Pelzmantel hebt die Hand in einem Raum mit einer weiteren Person im Hintergrund.

Ein Mann steht neben einer Badewanne, in der eine weitere Person in rotem Wasser liegt.

Alexander Gotter steht mit Lederjacke und Unterhose auf einem Sofa und hält eine Lampe hoch.

Ein Mann mit Fellmantel steht mit den Füßen in einer Toilette, während ein anderer in einer Badewanne liegt.

Eine Schauspielerin steht auf einer Bühne vor einer Projektion von Menschenmassen.

Zwei Männer, vermutlich Schauspieler, in Kostümen vor einer Bühnenkulisse.

Ein Mann im Pelzmantel steht vor einer Toilette auf einer Bühne. Im Hintergrund läuft eine Projektion.

Ein Mann im Pelzmantel hält eine Axt in einem Bühnenbild.

Ein Mann sitzt auf einer Bühne vor einer Projektion während einer Theateraufführung.

Eine Frau mit nacktem Oberkörper schreit im Dunkeln, während sie nass wird.

Alexander Gotter in einem braunen Fellmantel beugt sich über ein Waschbecken.

Ein Mann in Unterwäsche, Lederjacke und Cowboystiefeln steht auf einer Bühne neben einer Axt.

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Ein Mann mit Axt steht einem anderen Mann gegenüber, der auf einem Tisch steht.

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Ein Mann mit Fellmantel hält sich die Ohren zu und schreit.

Zwei Männer, einer mit nacktem Oberkörper und Cowboyhut, der andere mit blutverschmierten Händen und Pelzmantel, sitzen auf einer Couch.

Alexander Gotter mit einer Toilette auf der Schulter während einer Aufführung von „Die Reise. Ein Trip.“.

Eine Frau mit aufgerissenen Augen hält ihre Hände vor das Gesicht.

Ein Mann mit Blut im Gesicht sitzt in einer Badewanne, während eine Frau ihn umarmt.

Eine Frau gestikuliert auf der Bühne, während zwei Männer im Hintergrund knien.

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