Sie sind mit ihrem Bildungshunger leuchtende Vorbilder
Starke, vielfältige, bunte, vor allem wiss- und lernbegierige Zeichen setzten am Wochenende wieder einmal junge in Österreich beheimatete Menschen mit Herkunfts-Wurzeln in Afghanistan. Im Haus der Begegnung in der Weiner Königseggasse wurden 12 Absolventinnen und Absolventen feierlich geehrt. Die einen für ihren Schulabschluss beispielsweise die Matura, andere die erfolgreiche Beendigung ihres Studiums. Dafür gab es Lobes- und Dankesworte sowie Urkunden.
Die beiden Vereine IGASuS (InteressensGemeinschaft der Afghanischen SchülerInnen und Studierenden) sowie der Afghanische Sport- und Kulturverein Neuer Start laden regelmäßig zu solchen Zeremonien ein. Zum einen sollen die jungen Absolvent_innen Vorbild und Beispiel für Jugendliche aus der afghanischen Community in Österreich sein. Zum anderen aber sollen auch andere Menschen in Österreich von diesen positiven Beispielen erfahren – als Gegengewicht zu sonstigen negativen Meldungen.
Eigeninitiative
Initiator der Vereine und der Veranstaltungen ist Mojtaba Tavakoli. Er war schon als kleines Kind an Chemie interessiert, kam 2008 allein als Flüchtling nach Österreich, zwei Jahre später folgten Eltern und die Schwester. Er besuchte die Chemie-HTL, studierte Bio- und später noch Molekular-Chemie und nach absolviertem Studium nun am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) Neurowissenschaften, „weil ich wissen will, wie wir Menschen funktionieren, sind wir mehr als nur unser Gehirn?“
Schon 2010 gründete er den Verein Neuer Start und sagte damals, dass er damit neuen, jungen Menschen aus Afghanistan seine schon gemachten Erfahrungen, die er sich mitunter mühsam aneignen musste, zur Verfügung stellen will. Fünf Jahre später gründete er den zweiten Verein IGASuS, dessen Motto im Untertitel steckt: Integration durch Bildung.
Beispielgebend
Stellvertretend für die bildungshungrigen Afghan_innen berichten Ali Reza Haidari sowie Zakia Naseri von ihren Bildungslaufbahnen. Ersterer ist mittlerweile Entwicklungsingenieur (Elektronik und Informatik), Abteilungsleiter in einem Unternehmen und studiert noch nebenbei auf der Technischen Uni Wien. 2008 nachdem er als Flüchtling letztlich in Tirol landete, kam er in die an der HTL Anichstraße (Innsbruck) gegründete international gemischte „Weltklasse“. Anfangs. So gesteht er in seiner Rede, sei es nicht leicht gewesen Deutsch in der Tiroler Variante zu erlernen. Bei einem besonders schnell sprechenden Lehrer habe er sich vor allem auf die Lippenbewegungen konzentriert, um ihn zu verstehen. Mehrfach dankte er Österreich für die ihm gebotenen Bildungs-Chancen und appellierte, solche auch zu nützen.
Sehr mutig schilderte Zakia Naseri ihre mehrmaligen Versuche, Medizin zu studieren samt Rückschlägen durch psychische Probleme – als Folgen der seinerzeitigen Erlebnisse in Afghanistan aber auch in Österreich erlittener Tiefschläge, die zu Depressionen führten. Sie wisse wohl, dass gerade in ihrer Community es fast ein Tabu sei, solches anzusprechen, doch sie tat es, um auch anderen Mut zu machen. Und nach jeder Niederlage, nach jedem Rückschlag sei sie wieder aufgestanden, nähere sich nun ihrem Ziel in kleineren Schritten an. Sie hat einen Job als Ordinationshilfe in einer ärztlichen Praxis angenommen, entsprechende Ausbildungen und Prüfungen gemacht, nächstes Ziel: Studium der Gesundheits- und Krankenpflege – ohne je das große Ziel, den Traum eines Medizinstudiums aus den Augen zu verlieren.
Moderatorinnen als Vorbilder
Zwei wunderbare Vorbilder sind aber auch die beiden Moderatorinnen der gesamten Veranstaltung: Zeba Nazari, besonders eloquent, locker mit Witz und Humor auch Hoppalas überspielend, maturierte erst kürzlich im Realgymnasium Ettenreichgasse. Ihre Vorlieben waren und sind Sprachen – Neben Deutsch und Dari die in der Schule erlernten Fremdsprachen Englisch und Französisch. Jus interessiere sie schon einige Zeit, vertraut sie dem Kinder-KURIER an. „Mit 16 war ich mit einer Freundin bei einer Lehrveranstaltung an der Uni und das hat mich bestärkt. Ich finde es interessant, die Gesetzte und Regeln zu studieren.“ Ihre Leidenschaft aber gehört der Studentin, die mit ca. 7 Jahren nach Österreich gekommen ist, Auftritten vor Publikum. In diesem Alter hat sie auch schon einmal eine – von ihrem Bruder geschriebene Rede auf Englisch – „auswendig gelernt und vorgetragen“. Bei afghanischen Veranstaltungen (Theater, Tanz, Chor) ist sie immer wieder schon auf Bühnen aufgetreten.
Ihre kongeniale Kollegin Mozghan Hosseini moderierte auf Dari/Farsi (ihre Familie pendelte zwischen Afghanistan und dem Iran). Sie kommt aus dem steirischen Leoben, wo sie im Herbste eine Lehre als Elektrotechnikerin beginnen wird. „Ich hab schon als kleines Kind immer gern elektrische Geräte zerlegt und wieder zusammengebaut. Einmal“, so gesteht die junge Frau, die erst seit zweieinhalb Jahren in Österreich lebt, dem Kinder-KURIER, „hab ich dabei sogar einen Kurzschluss gebaut. Drum will ich ja wissen, wie das alles funktioniert.“
Die geehrten Absolvent_innen
Hier die zwölf diesmal ausgezeichneten Absolvent_innen:
Zahra Sadeghyar: Matura, BRG Gottschalkgasse (Wien-Simmering) wird Internationale Betriebwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität studieren
Zakaria Rezai: Matura, BRG Schellinggasse (Wien-Innere Stadt) wird Betriebwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität studieren
Yasin Gholam: Matura HTL, Zweig IT-Netzwerktechnik wird im Bereich Informatik studieren
Zeba Nazari: Matura BRG Ettenreichgasse (Wien-Favoriten) wird Jus in Wien studieren
Fatima Nazari: Matura HTL Mödling, Zweig Maschinenbau und Anlagetechnik gab noch nicht bekannt, welche weiteren Bildungsweg sie einschlagen wird
Poya Rezai: Matura HTL Camillo-Sitte-Lehranstalt (Wien) wird an der FH Technikum studieren
Alemi Mirwais: Matura HAK Wien 10 wird Wirtschaftsberatung an der FH Wr. Neustadt studieren
Ali Hassani absolvierte die Fachschule für Mode der Stadt Wien und will in diesem Bereich auch arbeiten
Fereshtah Rezai: Matura BRG Gottschalkgasse (Wien-Simmering) sieht ihre Zukunft in einer Ausbildung im Bereich Architektur
Zaki Nazari: Bachelor Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuni Wien und wird dort weiter auf Master studieren
Ali Reza Haidari: Diplomstudium Elektro- und Informationstechnik wird weiter auf Master an der TU Wien studieren
Abdullah Sadeghyar schloss schon 2017 sein Zahnmedizinstudium an der Med-Uni Wien ab
Podiumsdiskussion
Vor der feierlichen Urkunden-Überreichung gab es noch eine Podiumsdiskussion mit Lisa Oberbichler von PROSA, Projekt Schule für Alle, Faika El-Naghasi (Vorsitzende-Stellvertreterin des Gemeinderatsausschusses für
Bildung, Integration, Jugend und Personal, Die Grünen), Katrin Bernd (START-Stipendien Österreich), Ali Reza Haidari (Elektro- und Informatik-Diplomingenieur); Diskussionsleiter Zaki Nasari.
Sowohl das Nützen, aber auch das Anbieten von Chancen auf Bildung forderten die Diskussionsteilnehmer_innen und sprachen sich nicht zuletzt gegen die Kürzung von letzteren aus. Außerdem müssten Jugendliche, egal woher sie kommen, in ihren vielfältigen Persönlichkeiten wahrgenommen werden – sie alle sind Teil von Österreichs Gegenwart und Zukunft.
Es wurde aber nicht „nur“ geredet, der Musiker Esmat Alemi entführte mit den Klängen, die er der Dambura entlockte, kurzfristig in orientalische Welten.
Sportturnier
Nächste Veranstaltung ist ein zweitägiges Fußball- und Sportturnier: 14. und 15. Juli 2018, am Sportcenter DonauCity, Bundesbahn-Sportverein, 1220 Wien.
Für den "Verein Wirtschaft für Integration" hat Geschäftsführer Peter Wesely über die Veranstaltung und die Vereine eine seiner Mutmacher-Storys gemacht. Der Link ist hier
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