Raus aus der Blase – Frieden lässt sich erleben
„Wir haben bisher in einer Blase unter uns gelebt und gar nicht mitgekriegt, wie andere leben. Das haben wir erst hier beim Friedenscamp erfahren“, beginnen Tamary und Lihi aus Nofit im Norden Israels dem Kinder-KURIER zu erzählen. Erst hier in Lackenhof (Niederösterreich), wo der Großteil des mehr als einwöchigen 17. Peace-Camps stattgefunden hat, seien sie in Berührung mit palästinensischen Jugendlichen – ebenfalls aus Israel – gekommen. „Aber in diesen zehn Tagen haben wir alle erlebt, erfahren und gelernt, dass es möglich ist, dass verschiedene Kulturen zusammenleben und miteinander auskommen, ja Spaß haben können. Und sogar ziemlich leicht“, freuen sich die beiden. Diese Grundstimmung, diese Erkenntnis, dieses Vermächtnis teilen sie mit den anderen 29 Jugendlichen aus eben Israel, aber auch aus Ungarn und Österreich, die heuer Teil des Friedensprojekts waren.
Lernen, wie die anderen denken
Sie hätte gedacht, „das würde eine langweilige Woche werden in einem kleinen Dorf am Land“, so gestand Noor aus Nazareth (die Stadt mit der größten Gemeinschaft arabischer Israelis) ihre anfängliche nicht gerade hochgesteckte Erwartung gegenüber dem Kinder-KURIER. „Aber es war ganz anders, ganz intensiv, in jedem Winkel, in jeder Ecke haben wir miteinander geredet, diskutiert, gespielt, gelacht, gesungen, getanzt und immer wieder direkt gespürt: Trotz aller Unterschiede und auch gegensätzlicher Ansichten sind wir alle Menschen. Durch das Peace-Camp haben wir auch gelernt, wie denken die, wie denken jene, wie denken wir… es gibt große Unterschiede, aber alle können wir in Frieden leben, wenn wir wollen.“
Grüße vom Bundespräsidenten
Genau für diese Haltung lobte in einer Video-Botschaft Bundespräsident Alexander van der Bellen die neuen Friedensbotschafter_innen. Denn zu solchen werden alle Teilnehmer_innen der jährlichen Peace-Camps. So wie fast jedes Jahr waren auch diesmal zur abschließenden „Show 4 Peace“ Teilnehmer_innen früherer Peace-Camps gekommen, um mitzuerleben, wie dieser Spirit tatsächlich jedes Jahr von neuen Jugendlichen entfacht wird. Stellvertretend für die „alten“ Peace-Camper_innen sprachen Kitty, die vor zehn Jahren dabei war und Zidan, der erst im Vorjahr Friedensbotschafter wurde. Erstere stellte den Bogen vom großen, allgemeinen Streben nach Weltfreiden zu dem sogenannten kleinen im eigenen Umfeld und gar in sich selbst her. Zweiterer, der erst drei Jahre davor vor dem Krieg in Syrien flüchten konnte, hatte zum Thema Frieden naturgemäß einen viel intensiveren Bezug, hatte er doch das Gegenteil unmittelbar verspüren müssen.
Lasst euch die erlebte Erfahrung nicht nehmen!
„Und genau das sollt ihr euch nie nehmen lassen, diese Erfahrung, die ihr jetzt mehr als eine Woche selbst gemacht habt. Das ist die Wahrheit, das habt ihr erlebt und nicht die kleingeistigen ansagen, dass Frieden gar nicht machbar wäre“, appellierte die Psychotherapeutin Evelyn Böhmer-Laufer an die Jugendlichen. Gemeinsam mit Ronny Böhmer hat sie vor fast zwei Jahrzehnten die Idee dieser Friedenscamps geboren. Als Art Puffer-Gruppen zwischen den beiden jeweiligen Gruppen aus Israel waren von Anfang an jeweils Jugendliche aus Ungarn und Österreich mitgedacht. Wobei sich vor allem die Gruppe aus Österreich immer breiter international aufgestellt hat, wie es eben der Wirklichkeit des Landes und vor allem der Großstadt Wien entspricht.
Mehrere Zugehörigkeiten
Und so meinte etwa die Wienerin Esther, es sei für sie anfangs ein wenig verwirrend gewesen, ob sie sich nun der österreichischen Delegation zugehörig fühle oder der ungarischen oder der jüdischen, ist sie doch gleichermaßen mit Deutsch, Ungarisch und Hebräisch – in Wien – aufgewachsen. Mit Deutsch und Ungarisch schaffte sie es im vorvorigen Schuljahr immerhin ins Bundesfinale des mehrsprachigen Redebewerbs „SAG’S MULTI!“. Die Verwirrung habe „aber nicht lange gedauert, dann war ich halt Teil von mehreren Gruppen“.
Ihre Wiener Kollegin Kadiga, stellte ins Statement-Mikro in der Bühnenmitte fest: „Ich muss nicht blond sein und Walzer tanzen zu können, um mich als Österreicherin zu fühlen.“ Sie lebt seit sieben Jahren in Österreich, wo sie vor dem Krieg im syrischen Idlib Zuflucht finden konnte. „Hier hab ich viel gelernt, wie das Leben in Israel abläuft und dass es auch dort mehrere Kulturen gibt.“
David, der in Wien eine Schule für Sozialberufe besucht, hatte sich fürs Peace-Camp gemeldet, „weil ein anderer Schüler schon früher einmal dabei war und berichtet hat. Trotzdem hatte ich nicht so besonders hohe Erwartungen, aber es ist unglaublich, wie offen alle waren und sind und wie wir alle in den zehn Tagen zu einer großen Familie zusammengewachsen sind.“
Adél, Anett, Marci und Rebekka aus dem Budapester Szent László Gimnázium „haben diese Woche sehr genossen, sie war nicht nur gut, sondern sogar viel, viel besser als wir erwartet haben, obwohl wir schon von anderen Schulkolleg_innen, die früher dabei waren, darüber gehört hatten.“
Zugehörigkeit in Frage stellen
Apropos Delegationen: Im Rahmen der fulminanten, phasenweise mitreißenden Bühnenshow der Jugendlichen, die sie in diesen wenigen Tagen ebenfalls erarbeitet haben, stellten sie solche Gruppenzugehörigkeiten humorvoll in Frage. Zwar stellten sie sich als die vier Delegationen vor, auch mit Tänzen aus ihren Heimaten, aber dann reifen sie zu stilisierten Gruppen-Selfies auf, u.a. jener, die Fans von „Games of Thrones“ sind, aber auch jener, die dieses Fantasy-Serie für langweilig halten ... ;)
Frieden ist machbar
Frieden ist machbar. Das bewiesen nun wieder einmal an die drei Dutzend Jugendliche im niederösterreichischen Lackenhof und in Wien. Zum bereits 17. Mal fand das Peacecamp statt, bei dem Jugendliche aus Israel – einerseits jüdische, andererseits palästinensische sowie aus Ungarn und Österreich zehn Tage aufeinandertreffen. In kleinen und großen Diskussionsrunden, in Workshops, bei sportlichen und bei kulturellen Aktivitäten begegnen sie einander, setzen sich mit sich selbst und anderen Positionen auseinander. In dieser Zeit arbeiten sie aber auch an einer gemeinsamen Show, die sie zum Abschluss einmal in Niederösterreich und einmal in Wien – seit Jahren immer im Dschungel-Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum im MuseumsQuartier vor Publikum vorführen. Und da dies in Wien ihr letzter gemeinsamer Abend ist, fließen meist seeeeehr viele Tränen, die noch stärker als alle Worte beweisen, welch positives emotionales Zusammenwachsen möglich ist, wenn nicht Gegensätze, Konflikte, gar Feindschaft das Geschehen diktieren, sondern alle an einem friedlichen Miteinander, an Koexistenz arbeiten.
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