Menschlich oder menschenverachtend
Wenn sogar schon Aussagen, dass keine Menschengruppe minderwertiger ist als andere als „Sabotage am Vaterland“ betrachtet und bezeichnet wird, dann – ja dann befinden wir uns - in dem Fall - nicht in einer aktuellen nationalistisch aufgeheizten Kundgebung oder Versammlung, sondern im Theater. In einem Stück auf der Basis des vor mehr als 80 Jahren von Ödön von Horvath geschriebenen Klassikers „Jugend ohne Gott“.
„Humanitätsduselei“
„Oh, mir machen Sie nichts vor! Ich weiß es nur zu gut, auf welch heimlichen Wegen und mit welch perfiden Schlichen das Gift ihrer Humanitätsduselei unschuldige Kinderseelen zu unterhöhlen trachtet!“, empört sich der Vater des N über den Lehrer. Der hatte „gewagt“ dem Schüler N zu seinem Satz „Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul“ bei der Rückgabe des Aufsatzes anzumerken, dass auch die Menschen sind.
(Fast) allgegenwärtig
Salzburg, Graz, Wien im WuK und im Spielraum, vor 2 ½ Jahren neu verfilmt, und nun auch im Theater im Zentrum, dem kleineren Haus des Theaters der Jugend, wurde und wird dieses Stück gespielt. Etliche der Bühnenversionen verwenden fast 1:1 weite Passagen aus Horvaths Romantext aus dem Jahr 1937. Die Sprache wirkt nur in ziemlich wenigen Formulierungen veraltet umd die die aktuellen Versionen bereinigt sind. Unterschiedlich der Umgang mit dem lange Zeit üblichen und gar nicht immer abwertend gemeinten N-Wort. Manche neuen Versionen haben offenbar auch noch Angst es durch „Schwarze“ zu ersetzen und weichen auf „Afrikaner“ aus.
Propaganda
Zentraler Konflikt des Stücks ist, um es zugespitzt zu fassen, jener zwischen einer christlich-sozialen-menschlichen Haltung und einer nationalistisch bis faschistischen, jedenfalls menschenverachtenden Position. Leider nicht nur eine historische Geschichte – aus der offenbar doch nicht so viele Lehren gezogen werden ;(Der Lehrer traut sich nicht mehr seine Meinung „sinnlose Verallgemeinerung“ unter Ns Aufsatz zu schreiben. „Habe ich den Satz nicht schon mal gehört?... was einer im Radio redet, darf kein Lehrer im Schulheft streichen… und die Zeitungen drucken es nach und die Kindlein, sei schreiben es ab.“
Krimi
Vordergründig spielt sich zusätzlich ein Krimi ab. Schüler N wird beim eher paramilitärischen Zeltlager erschlagen. Ein anderer Schüler, Z (alle Schüler haben nur ihre Nachnamens-Anfangsbuchstaben), beschuldigt. Der nimmt die Schuld auf sich, weil er glaubt, eine junge Frau in die er sich verliebt hat, wäre die Täterin.
Mut zur Wahrheit
Anlass für den Streit war, dass Z Tagebuch führt und das Geheimversteck dafür aufgebrochen worden ist. Das hat aber der Lehrer gemacht. Im Prozess als Zeuge einvernommen, überwindet er endlich seine Angst und gesteht, verliert seinen Job und wirkt befreit. Der Mut zur Wahrheit bringt ihn wieder näher an seine Werte, die er aus Opportunismus zu verraten begonnen hat. „Gott“ steht hier eher für grundlegende menschliche Werte. Er und ein paar Schüler, die sich nun zu einem Klub zusammengefunden haben, die verbotene Literatur lesen und diskutieren, machen sich auf die Suche nach dem Mörder von N. Wobei für diesen und seinesgleichen das Symbol der Fische verwendet wird. „Die Erde dreht sich in das Zeichen der Fische hinein. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich wie das Antlitz eines Fisches.“
Von fast allen Seiten
Regisseurin Petra Wüllenweber, die vor zwei Jahren hier auch „Die weiße Rose“ – über die antifaschistische Widerstandsgruppe rund um die Geschwister Scholl inszenierte – setzt auch in „Jugend ohne Gott“ unter anderem darauf, dass die Darsteller_innen nicht nur frontal von der Bühne spielen. Sie haben Auftritte von verschiedenen Seiten des Publikumsraumes. Damit finden sich die Zuschauer_innen immer wieder sozusagen mitten im Geschehen. Vielleicht führt das bei der einen oder dem anderen auch zu (späteren) Gedanken, wie und was würde ich machen – wie vielleicht in einer Situation reagieren, wenn alle gegen einen vorgehen – wie die Klasse gegen den humanistisch eingestellten Lehrer?
Viele Rollenwechsel
Übrigens schlüpfen mit Ausnahme des Lehrer-Darstellers Jürgen Heigl alle anderen in mehrere, manche sogar in viele verschiedene Rollen: Sehr vielfältig Muriel Bielenberg, großartig Lynn Williams, wandlungsfähig Uwe Achilles, fast immer bitterböse Anja Rüegg und Stefan Kuk als Schüler Z bzw. T und damit ziemlich gegensätzlich.
Spannend die immer gleichbleibende Bühne mit einem hölzernen Steg, die Brücke und Barriere sein kann.
Jugend ohne Gott
nach Ödön von Horváth
von Petra Wüllenweber
ab 13 Jahren, 1 ½ Stunden
Lehrer: Jürgen Heigl
Eva / Mutter des T / Schüler L / Schüler B / Nelly: Muriel Bielenberg
Direktorin / Julius Cäsar / Schüler R / Die Uralten / Kommissar: Lynne Williams
Pfarrer / Feldwebel / Richter / Die Uralten / Oberkommissar: Uwe Achilles
Schüler N / Vater von N / Staatsanwalt / Mutter des Z / Angestellte: Anja Rüegg
Schüler Z / Schüler T: Stefan Kuk
Regie: Petra Wüllenweber
Dramaturgie: Sebastian von Lagiewski
Bühne: Peter Engel
Kostüme: Regina Rösing
Musik: Markus Reyhani
Licht: Fritz Gmoser
Assistenz und Teilinspizienz: Eva Maria Gsöllpointner
Teilinspizienz: Charlotte Morschhausen
Hospitanz: Lisa Rodlauer
Aufführungsrechte: Theater der Jugend, Wien
Wann & wo?
Bis 26. März 2020
Theater im Zentrum, 1010 Wien, Liliengasse 3
Telefon: (01) 522 110-0
Tdj -> Gugend ohne Gott
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