Grenz-Öffner, 4er Kind und eine Hoffnungsträgerin

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Ümit Mares Altınok veröffentlichte aus ihren Story-One-Anekdoten kürzlich ein Buch. Kinder-KURIER-Interview.

„Ich lernte, Zigaretten, Kaugummis und Bananen öffnen Grenzen“, schreibt die Autorin in einer ihrer Geschichten im Buch „Hoffnungsträgerin“. In dieser Story schildert Ümit Mares-Altınok eine der langwierigen Autofahrten als sie ein Kind war. Von ihrer Heimatstadt Wien musste sie praktisch Jahr für Jahr die dreitägige Tortur der 3500 Kilometer bis nach Kayseri mitten in der Türkei in der sommerlichen Hitze im Auto überstehen, um die Verwandtschaft ihrer Eltern zu besuchen.

Anekdoten zwischen dort und hier – die der zweisprachig (Deutsch und Türkisch) aufgewachsenen Wienerin – im Laufe ihrer 46 Jahre immer wieder untergekommen sind, schreibt sie seit einem Jahr auf einer Internet-Plattform. Kürzlich hat die interkulturelle (Unternehmens-)Beraterin, Diversity-Award-Trägerin der Wirtschaftskammer und Entwicklerin interkultureller Projekte, die einzelne Menschen fördern, 17 solcher Stories als Buch veröffentlicht.

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Die Autorin als Kind mit ihrem Lieblingsdirndl

Bandscheibenvorfall war "schuld"

Schuld an ihrem ersten Buch, das kürzlich gedruckt erschien, war ein zwangsbedingter Aufenthalt zu Hause, nein nicht der heurige. Ihr Buch ist kein Schnellschuss.

„Ich hatte vor ungefähr einem Jahr einen Bandscheibenvorfall, konnte nicht rausgehen, hab viel im Internet gelesen und gesurft und bin zufällig auf die Seite Story One gestoßen“, erzählt Ümit Mares-Altınok dem KiKu über die Anfänge zu ihrem Buch. Dort las sie Geschichten aus dem Leben – von anderen. Geschichten aus ihrem Leben hatte sie auch zu erzählen. Situationskomische, aber auch ernste und tot-traurige. Und so begann sie auf dieser Web-Plattform die eine und andere ihrer Anekdoten zu veröffentlichen. Und war über die quantitativen und qualitativen Reaktionen überrascht, manchmal fast überwältigt. Schrieb also weiter und hat nun ein 80-Seiten-Buch mit 17 dieser Storys, angereichert um höchst private Fotos, veröffentlicht: „Hoffnungsträgerin“. Auf Türkisch würde das übrigens Ümit-taşıyıcı heißen.

Grenz-Öffner, 4er Kind  und eine Hoffnungsträgerin

Die Autorin im Dorf ihres Vaters

Viele machen den Hinter- zum Vordergrund

Die Hoffnung im Titel des Bandes ergibt sich aus ihrem Vornamen. Ümit ist Türkisch und heißt auf Deutsch Hoffnung. Dass die Meidlingerin Vorfahren aus der Türkei hat, spielte in ihren Geschichten, die alle das Leben schrieben, immer wieder eine Rolle – zwischen Wien und Ostanatolien.

Wie viele Kinder und Jugendliche musste sie für die ältere Verwandt- und Bekanntschaft in Wien als Übersetzerin in Aktion treten. Erst eine für sie und die Beteiligten sehr peinlicher Dolmetsch-Dienst eines Paares bei einer Familienberatung wo es um Verhütung ging, entließ sie aus dieser Rolle.

Grenz-Öffner, 4er Kind  und eine Hoffnungsträgerin

Die Mutter der Autorin (links) mit ihren beiden Schwestern in Sihbarak (ebenfalls ein Dorf in Zentralanatolien)

Mischkulanz

Da sind zum einen Geschichten, wie sie viele Menschen mit Migrations-Hinter-, Vordergrund oder auch nur Berührungspunkten – mitunter schon in dritter Generation in einem Land erleben, dessen Bevölkerung seit „ewigen“ Zeiten zu einem Gut-Teil ethnisch eine Mischkulanz bilden. Dieses wiederholte „von wo kommst du aber wirklich her“, wenn sich die Gegenüber nicht mit Wien oder genauer Meidling zufriedengeben wollen.

Viel zu häufige negative Erfahrungen, die Ümit jedoch überwand und noch immer überwindet, geben Hoffnung auch anderen – womit der Buchtitel weit über das Namensspiel hinausgeht.

Apropos Namen. „Ein Inder hat mir einmal erklärt meine Namen bedeuten in einer seiner Sprachen „du wirst Hoffnung mit goldenen Pfeilen über alle Meere schießen“.

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Geburtshaus ihres Vaters in Belören (Dorf in Zentralanatolien)

Vorbilder

Hoffnung gab ihr schon das Beispiel ihrer Eltern. „Nur“ weil der Vater als Jugendlicher einen Beruf erlernen wollte, aber nur Bauer bleiben sollte, haute er aus dem elterlichen Dorf Belören ab, schlug sich in die nächste größere Stadt durch, erlernte die Schneiderei. „Der Opa war dann viele Jahre auf meinen Papa böse“, erzählt Ümit Mares-Altınok. Aber er hatte auch ein Signal gesetzt. „Seine Brüder haben dann auch alle eine Ausbildung gemacht, die Mädchen allerdings sind im Dorf geblieben.“

Später kam der Vater als sogenannter Gastarbeiter nach Vorarlberg – aber nicht auf dem offiziellen Weg durch die Anwerbestellen. Die Zahn-Beschau fiel bei ihm in der Türkei nicht zufriedenstellend aus, er wollte aber unbedingt – für einige Jahre – in Westeuropa arbeiten. Auf abenteuerlichen Wegen – möglicherweise über die Schweiz/Vorarlberger jahrhundertealte Schmuggler-Route - landete er in Götzis in einer Textilfabrik, zog später nach Wien, wo er eine Schneiderei gründete.

Er hat übrigens mittlerweile, so Tochter Ümit, „ungefähr 400 Seiten mit Bleistift auf Türkisch seine Lebensgeschichte aufgeschrieben.“ Vielleicht veröffentlicht der Vater nach der Tochter auch noch ein Buch.

Grenz-Öffner, 4er Kind  und eine Hoffnungsträgerin

Der Vater der Autorin - in jungen Jahren - in seiner Schneiderei in Hietzing

Meisterin

Die Mutter musste am Ende ihrer Volksschulzeit nachdem ihr Vater gestorben war, zu Hause und auf der Weide ihres Dorfes tatkräftig mithelfen und anpacken – der Traum von einer weiteren (Aus-)Bildung zerrann. Als ganz junge Ehefrau in Wien brachte sie sich selbst Deutsch bei – mit Hilfe eines kleinen schwarz-weiß-Fernsehers. Das beschreibt die Autorin in der Geschichte „Meine Mutter – meine Heldin“. Diese wird übrigens später noch ihre Meisterprüfung in Schneiderei mit Auszeichnung bestehen. Gemeinsam mit ihrem Vater führte sie die von ihm gegründete Schneiderei in Hietzing, bei der viele ORF Mitarbeiter_innen ihre Kleidungsstücke ändern ließen.

Nicht zuletzt deshalb legten sie und ihr Mann großen Wert, dass ihre Tochter ausreichend lernen sollte. Sie nannten sie ja auch bewusst „Hoffnung“, auch wenn Ümit öfter ein Männer- als ein Frauenname ist. Den Namen hatten die Eltern schon gewählt, bevor sie wussten, ob ihr erstes Kind ein Mädchen oder Bub wird.

In einer weiteren anekdotischen Story führte Ümits Name allerdings zu Verwirrung – in französischer Konversation dachten einige, sie meine humide (feucht).

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"Unendliche" Weiten in Zentralanatolie: kurz vor dem Dorf der Mutter

Runtergemacht

Und obwohl beide Eltern Wert auf die Bildung ihrer Tochter legten, die Tochter eifrig lernte, musste diese in der Schule gegen Vorurteile kämpfen. Nur wegen ihrer Herkunft - dabei lag die in Meidling (die Schneiderei des Vaters in Hietzing) – qualifizierte die Deutsch-Lehrerin die Schülerin ab: „Du bist ein 4er-Kind, sei froh, wenn ich dich durchlasse.“

Obwohl die heute 46-Jährige nicht nur anstandslos maturierte und später auch sogar ein Master-Studium absolvierte, hing ihr dieser Sager und diese Haltung der Lehrerin nach, weshalb sie eben erst so spät begann, eigene Texte zu schreiben. Vielleicht schickt die Autorin ihrer früheren Lehrerin ja ein Buch mit Widmung ;)

„Egal ob im Berufsleben oder wo auch immer, ich hab schon oft das Gefühl, ich muss mindestens 120 % geben, um auch eine Chance oder gar Anerkennung zu haben“, sagt sie zum Kinder-KURIER – und spricht dabei für viele.

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Die Großeltern (väterlicherseits) der Autorin

Reisen

Wie auch immer, Wissen und Erweiterung dessen nicht zuletzt durch Reisen führten dazu, dass sie zunächst bei der AUA arbeitete, „im Bodenpersonal, aber dadurch kam ich sehr günstig zu Flügen. Wir haben untereinander Dienste getauscht, dann hattest du ein paar freite Tage und bist um 30 Schilling nach London oder 60 Schilling nach New York gekommen.“

Für den AUA-Job 1996 musste sie übrigens durch ein hartes Assessment Center, bei dem es vor allem auf Englisch und Geografie ankam, bravourös meistern. Später wechselte sie zu arbeitsmarktpolitischen Projekten – wo sie wieder die alten eigenen Erfahrungen bei ihren Klientinnen und Klienten erlebte. Du unterstützt sie bei Bewerbungen und „wir haben immer wieder den Fall gehabt, dass die haargenau gleiche Bewerbung ganz anders behandelt wurde, abhängig davon, ob sie von einer Therese oder einem Mustafa abgeschickt wurde. Es folgte der Job in der Personalabteilung eines Unternehmens – und dazu berufsbegleitend, blockweise das Studium Migrationsmanagement – in Salzburg. Nach dem Master machte sich Ümit Mares-Altınok 2013 selbstständig.

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Screenshot der Homepage von "kulturundgut - vielfältiger leben"

Unternehmen beraten und Menschen kulturell fördern

Damit fuhr sie auf zwei Schienen: „Einerseits berate ich Unternehmen in interkultureller Kompetenz und Diversität, entwickle mit ihnen firmeninterne Projekte. Andererseits bin ich bei arbeitsmarktpolitischen Projekten tätig. Mein Part ist, Arbeitssuchenden kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Die Projektgruppe geht mit mir in ein Museum oder in eine andere Kultur-Einrichtung.“ Das erweitert die Kompetenzen der Arbeitssuchenden, meist wirtschaftlich benachteiligte Menschen, erfüllt einen Bildungsauftrag und fördert auch die Integration. Und berührt die Trainerin selber nicht selten. „Ich kann mich an einen Besuch in der Albertina erinnern, wo eine Tschetschenin Tränen in den Augen hatte und gebeten hat, nach unserem Gruppentermin einfach noch dort bleiben zu dürfen.“

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Die Autorin und ihr Buch

Sind Sie "kuku"?

„Frauen spielen eine wesentliche – vielleicht noch immer unterschätzte – Rolle in der Integrationsarbeit“, so Ümit Mares-Altınok, „darum ist es besonders wichtig, sie zu ermutigen, ihr Selbstwertgefühl zu heben.“

„Sind Sie auch schon „kuku“? – Mit uns gehen Sie kulturkundiger durchs Leben“, begrüßt die Autorin die Unser_innen ihrer Homepage.

Für ein anderes Vielfaltsprojekt - „Next Genderation“ in dem in Kooperation mit dem Belvedere Senior_innen und Schüler_innen von- und miteinander lernten - wurde die interkulturelle Kunst-Vermittlerin auch mit dem Diversity-Award der Wirtschaftskammer ausgezeichnet.

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Die Autorin und ihr Ehemann Alexander

Notizen

Zurück zu ihrem Buch und dem erweiterten Jobprofil, nun auch Autorin zu sein. „Wie sammelst du die Vielzahl von Anekdoten, hast du die alle im Kopf oder schreibst sie immer gleich auf, wenn sie dir einfallen?

Ümit Mares-Altınok: Meistens notiere ich mir ein zwei Sätze, wenn mir eine Anekdote einfällt oder ich aktuell eine erlebe, weil ich Angst habe, dass ich sie sonst vielleicht vergessen könnte. Wenn ich dazukomme, schreib ich gleich die ganze Geschichte. Kürzlich ist mir wieder eine eingefallen von Zündholzschachteln, die wir als Teenager in Kayseri über den Balkon geworfen oder, wenn wir dort saßen bekommen haben – da waren Liebesbriefe drin versteckt.

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Ümit – Hoffnung – Hope …

Vielleicht trägt ja die eine oder andere der Stories dazu bei, dass mehr Menschen so wie die Autorin zur Überzeugung kommen: „Für mich ist Heimat dort, wo ich mich jetzt in diesem Augenblick wohlfühle und mit dem Herzen dabei bin! Und das kann ein Ort, ein Gefühl, eine Erinnerung oder eben ein ganz bestimmter Duft sein …“

Follow@kikuheinz

kulturundgut.at

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Buchcover von "Hoffnungsträgerin"

Ümit Mares-Altınok
Hoffnungsträgerin
Life is a Story
80 Seiten mit 8 Farbabbildungen
Verlag:
story.one publishing
14,40 €

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