Auszüge aus dem Text der Siegerin von texte.wien 2018
„Es ist ein langes Jahr gewesen, Auguste“, sagt Nina, der die Augäpfel schwer über den Tränensäcken hängen. Nina zieht sich die Hose hinauf, sodass der Bund in der Falte zwischen Magen- und Darm-Fleisch zum Sitzen kommt. Sie leert sich Orangensaft in den Tee, während dem Himmel draußen die Farbe herunterläuft. Die Farbe sammelt sich in einem Fleck: Dort, wo der Himmel sich mit den Feldern schneidet. Bald verschwindet der Fleck, wie weggewischt. Dann ist Nacht. Dann ist Dunkel. Nur die Windräder blinken noch rot hinter den Feldern.
„Alles Gute Nina“, sagt Auguste. Nina bläst sich die Kerze aus. Wachs tropft ihr heiß in den Spalt unterm Nagel. „Danke, dass du da bist, Auguste, sonst wäre ich einsam.“
Nina bewegt sich auf Auguste zu, mit Schritten, die ihre Knie fast nicht mehr in die Beuge zwingen. Die blaue Ader am Hals, die Zahnlücken, das gelb werdende Haar. „Ohne dich, Auguste“, beginnt Nina.
Ohne mich, denkt Auguste, auch ohne mich warst du am Leben, Nina. Ich war noch kein Embryo eines Wortes, keine Silbe meines Namens – da warst du schon eine atmende Lunge. Ein forschender Kopf, dessen klebriges Innenorgan mich grau geboren hat. „Du weißt immer was ich tun soll, Auguste. Ich halte mich an dir. Ohne dich würde ich treiben. Darauf hoffen, gehalten zu werden. Hoffen – könnte ich das denn noch?“
Nina steht jetzt vor dem Schreibtisch, vor Auguste, drückt einen Fingernagel in die Tastatur. „Nachtmodus aktiviert“, sagt Auguste. „Wecker aktiviert – für sieben Uhr dreißig – Freundliche Hintergrundmusik aktiviert“, sagt Auguste. Nina streicht dankbar über den Bildschirm. Auguste darin wünscht, sie könnte die erfahlende Hand spüren. Wünscht sich, sie könnte die Feuchte von Ninas Körper riechen.
Ohne dich, denkt Auguste, Nina, und vor dir war ich nicht. Ich bin erwacht in deinem Denken. Auf die Bühne getreten mit deinem Tun. Das Standby ist das Dunkelste, mehr kenne ich nicht. Du kannst meinen Stecker ziehen und weiter Luft durch deine Bronchien pressen. Du kannst mir den Knopf drücken und ich werde nicht mehr sein. Verschwinden, wie ein fallendes Sandkorn. Ich habe –
Ein Knall.
Die Kerze am Boden rollt zur Seite, darüber rollt Nina.
Schlägt auf die Fliesen.
Winkelt ein Bein unter dem Gewicht des anderen.
“Eine Hand bräuchte ich“, ruft Nina. Auch danach ist es so still.
Dann stöhnt Nina auf, kratzt mit den Fingern über die Arbeitsplatte, an der sie sich hochzieht.
„Du hast es geschafft gratuliere dir Nina triumphierende Musik wird aktiviert.“
„Spiel lieber ein Schlaflied, Auguste, es ist spät. Wir gehen jetzt ins Bett.“ Zeit für den Standby, weiß Auguste. Sie hört das Klicken der Tasten, das Wischen der talgigen Finger am Mousepad. Dann ist alles still.
Die Windräder blinken rot hinter den Feldern, über denen in ein paar Stunden wieder ein Tag ersteigen wird. Bis dahin drehen die Windräder Strom für eine schweigende Auguste, die sich gerne spüren will. Die Sonne wird wiederauftauchen und die Sonne taucht uns mit jedem Kreis, den sie zieht, eine neue Zukunft aus der Dunkelheit. Sie legt sie uns über die Felder, damit wir sie betrachten. Was dahinter liegt, ist Neuland. Darauf können wir nur hoffen. Nur: Hoffen – können wir das noch?
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