Sepsis: Eine lebensbedrohliche Krankheit, die unterschätzt wird

Das Bakterium Klebsiella pneumoniae in einer Petrischale.
6700 Todesfälle jährlich in Österreich. Experten kritisieren das Fehlen eines nationalen Aktionsplans.

In Europa erkranken pro Jahr mehr als eine halbe Million Menschen an Sepsis. Für Österreich gibt es keine genauen Zahlen. Geschätzt werden rund 18.000 Sepsis-Patientinnen und Patienten pro Jahr, wobei die Hälfte einen schweren Verlauf verzeichnet. Etwa 6.700 Menschen sterben jährlich an Sepsis – das entspricht ca. 8 Prozent aller Todesfälle in Österreich. Weltweit gibt es jährlich rund 30 Millionen Fälle, rund 50 Prozent davon haben einen tödlichen Ausgang.

In Österreich arbeitet die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) gemeinsam mit anderen medizinischen Fachgesellschaften einen Handlungsleitfaden zur besseren Versorgung von Sepsis-Erkrankten aus. Er soll der der Bundesregierung vorgelegt werden soll. Drei Top-Experten kritisieren jetzt das Fehlen eines Nationalen Aktionsplan Sepsis.

Eva Schaden, Vorstandsmitglied der ÖGARI und Fachärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Ojan Assadian, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (ÖGKH) und Ärztlicher Direktor des Landeskrankenhauses Neunkirchen,  sowie Gerald Bachinger, Niederösterreichischer Patienten- und Pflegeanwalt und Sprecher der Österreichischen Patientenanwälte, weisen auf folgende Punkte hin:

  • Ein ungenügende systematische Erfassung relevanter Daten zu der Erkrankung.
  • Das das Fehlen eines verbindlichen Handlungsplans für Österreich.
  • Und es müsse das Bewusstsein für das Krankheitsbild sowohl in der Bevölkerung als auch im Gesundheitssystem und der Politik deutlich gesteigert werden.

Unterschätzte Gefahr

Bei medizinischen Laien, in der Öffentlichkeit, aber auch bei Entscheidungsträgern in der Politik und im Gesundheitswesen sei der Begriff Sepsis zu wenig bekannt oder wird als „Blutvergiftung“ nur unzureichend verstanden, betonen die Experten.

„Nach der seit 2016 gültigen Definition versteht man unter einer Sepsis eine lebensbedrohliche Organdysfunktion (Organfunktionsstörung, Anm.), deren Ursache eine fehlgeleitete, überschießende Immunantwort auf eine Infektion ist“, sagt Schaden.

Wichtig sei, den Bekanntheitsgrad dieser Erkrankung zu steigern, so Schaden, nicht nur bei medizinischen Fachkräften in den Spitälern, sondern auch im niedergelassenen Bereich sowie beim Personal im Bereich Pflegeheime, 24-Stunden-Betreuung oder auch bei Eltern. Für eine erste Einschätzung seien Symptome in drei Organsystemen entscheidend: Gehirn/Bewusstsein, Lunge/Atmung und Herz-Kreislauf/Blutdruck.

„Denn je später eine Sepsis diagnostiziert wird und die entsprechenden Therapiemaßnahmen eingeleitet werden, desto schwieriger ist es – auch mit den modernsten Methoden der Intensivmedizin – Leben zu retten und eine völlige Wiederherstellung der Gesundheit und Lebensqualität der uns anvertrauten Patientinnen und Patienten zu erreichen.“

Entgegen der landläufigen Meinung, dass man sich immer im Krankenhaus mit den Sepsis auslösenden Erregern anstecke, erklärte Schaden, dass rund 50 Prozent der Sepsisfälle als Folge von außerhalb des Krankenhauses erworbenen Infektionen auftreten.

„Die Wahrscheinlichkeit an einer Sepsis zu sterben schwankt international beachtlich und hängt unmittelbar von Strukturen und Prozessen in Krankenhäusern ab“, erklärt ÖGKH-Präsident Assadian. Er kritisiert in einer Aussendung, dass die Labore in den Krankenhäusern am Wochenende nicht arbeiten und somit keine Auswertung der Sepsis-Ursachen möglich ist. „Wir brauchen einen 24-Stunden-Labordienst an allen Tagen“, appellierte Assadian.

„Durch gezielte Maßnahmen in Struktur und Schulung kann die Überlebensrate bei einer Sepsis deutlich gesteigert werden. Daher müssen zeitgleich durch gut geplante und verbindliche einzuführende Hygienemaßnahmen das Risiko einer Sepsis reduziert und die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Sepsis-Eintritt gesteigert werden“, so Assadian.

Patientenanwalt Bachinger erachtet es als wichtig, dass bei der Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans zum Thema Sepsis auch die Patientensicht eingebracht wird. „Die Sepsis ist eine der häufigsten und kostenintensivsten Erkrankungen im stationären Sektor“, schildert Bachinger. Spitals-Statistiken aus den USA würden die Sepsis sogar als die Nummer eins bei den Krankenhauskosten ausweisen. Er betonte, dass Sepsis für mehr Todesfälle verantwortlich sei, als Lungen-, Brust-, Darm- und Prostatakrebs zusammen.

Einig sind sich die Experten, dass zur Ausarbeitung eines Nationalen Aktionsplans alle relevanten Fachgesellschaften eingebunden werden müssen, aber auch ein intensiver Dialog mit der Politik nötig ist.

 

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