Seltene Krankheiten: Noch immer Defizite bei Diagnose und Therapie

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Oft vergehen Jahre bis zur korrekten Diagnose. Davor legen Betroffene meist einen langen Leidensweg zurück.

Bis Menschen mit einer seltenen Krankheit eine korrekte Diagnose erhalten, dauert es oft Jahre. Davor kann ein regelrechter Leidensweg liegen. Das kritisierte Rainer Riedl, Obmann von Pro Rare Austria - Allianz für seltene Erkrankungen, am Dienstag im APA-Gespräch im Vorfeld des internationalen "Tages der seltenen Erkrankungen" (28.Februar). Folglich gestaltet sich auch die Behandlung schwierig.

Eine Krankheit wird als selten definiert, wenn maximal fünf von 10.000 Einwohnern betroffen sind. Bisher sind weltweit rund 6.000 bis 8.000 solche Krankheiten identifiziert. In Österreich leben rund 400.000 Menschen mit einer seltenen Erkrankung, das entspricht etwa der Bevölkerung von Vorarlberg. "So gesehen sind seltene Erkrankungen gar nicht so selten - aber jede einzelne Krankheit ist so wenig weit verbreitet, dass die betroffenen Menschen oft jahrelang nicht richtig diagnostiziert und behandelt werden", erklärte Riedl.

Unspezifische Symptome

Unspezifische Symptome führen zu falschen Diagnosen, somit kann mit der richtigen Therapie oft erst spät begonnen werden. "Die durchschnittliche Dauer bis zur richtigen Diagnose beträgt drei Jahre. Es gibt aber auch Menschen, bei denen eine seltene Erkrankung diagnostiziert wird, wenn sie 60 sind." Eine hohe Dunkelziffer an Patienten lebe mit einer falschen Diagnose. Zur Folge habe dies nicht nur Verunsicherung und oft jahrelanges Leiden für die Betroffenen, sondern auch falsche Behandlungen und zum Teil sinnlose Kosten für das Gesundheitssystem.

Nationaler Aktionsplan

Das Bündeln des Wissens über diese Krankheiten und die Therapiemöglichkeiten sehen Experten daher als sehr bedeutend an. Der österreichische "Nationale Aktionsplan für seltene Erkrankungen" (NAP.se), der auf EU-Empfehlung erstellt worden war, wurde 2015 vom Gesundheitsministerium mit dem Ziel präsentiert, den Betroffenen künftig eine bessere medizinische Versorgung zu ermöglichen. Mit den darin enthaltenen mehr als 80 Maßnahmen sollten Defizite in Bewusstsein und Wissen über seltene Erkrankungen in der Medizin und auch in der Öffentlichkeit beseitigt werden. "Prinzipiell ist der Plan ein sehr guter, aber die Implementierung geht nur schleppend voran", stellte Riedl fest. "Momentan besteht keine Klarheit, wer das umsetzen soll."

Kaum Expertise-Zentren

Entsprechende Vorschläge von Pro Rare zur Verbesserung der Situation beinhalten u.a. die Bildung von Expertise-Zentren. "In Österreich gibt es derzeit nur zwei zertifizierte Expertise-Zentren. Beide sind mit privaten Spenden auf die Beine gestellt worden", so Riedl. Es handelt sich dabei um das EB-Haus in Salzburg (Epidermolysis bullosa/"Schmetterlingskinder") sowie um das Zentrum für pädiatrische Onkologie im St. Anna Kinderspital in Wien. In Italien seien es beispielsweise 200 solcher Zentren. Hierzulande sei es aber schwierig, da Österreich sehr föderativ sei. Die meisten Selbsthilfegruppen in Österreich blieben unter der Wahrnehmungsschwelle und hätten es entsprechend schwer, öffentliche Unterstützung zu bekommen.

Ideen gibt es

Angedacht ist weiters eine Servicestelle für Ärzte, bei der spezifisches Fachwissen für seltene Erkrankungen gebündelt werden soll, das dann von Allgemeinmedizinern und Fachärzten abgerufen werden kann. "Bestehen etwa bei einem Baby bestimmte Symptome, können sich Praktiker oder niedergelassene Fachärzte an die Servicestelle wenden. Dort wird die Recherche vorgenommen: Welche Zentren gibt es für diese Anzeichen, welche Datenbanken, etc.", erklärte Riedl. Auch ein "Diagnoselotse", der an den Universitätskliniken implementiert wird und die Patienten bis zum Vorliegen einer Diagnose durch das Spitalssystem leitet, sei eine Idee, die noch mit allen Stakeholdern besprochen werden müsse. "Genaueres ist in Diskussion, wir werden das im heurigen Jahr verfeinern", kündigte Riedl an.

"Es sind viele verschiedene Erkrankungen, aber die Probleme sind bei allen gleich. Es geht um Fragen wie 'Wer behandelt mich?', 'Welche Medikamente bekomme ich?', 'Zahlt sie die Krankenkasse?' oder auch um den Pflegeurlaub", schilderte Riedl. "Die Betroffenen fechten regelrechte Kämpfe aus."

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