Vorbildlicher Umgang mit Kindern in einem Wiener Spital
Nicos Stimme ist in seinem Krankenzimmer deutlich zu vernehmen. „Für uns ist das ein therapeutischer Erfolg“, sagt die diplomierte Krankenschwester Silvia Tauchner, während sie dem Zwölfjährigen mit seiner Mutter eine Beinschiene anlegt.
Silvia Tauchner arbeitet auf der Neuro-Reha-Station des Preyerschen Kinderspitals. Sie kann auf eine 40-jährige Berufserfahrung bauen. Und erfüllt die Devise, die Abteilungsvorstand Primarius Günther Bernert ausgegeben hat: „Heilung braucht nicht nur die modernen medizinischen Geräte, Heilung braucht auch Beziehung.“
Permanent in Gefahr
Nicos Beine und auch die Arme sind fragil. Der Bub leidet an einer seltenen Gefäßerkrankung. Er ist permanent in Gefahr. Wenn er Pech hat, beginnt sein Gehirn wieder zu bluten oder erleidet einen Infarkt. Mehrere Male in seinem jungen Leben hatte er bereits Pech. Von Montag bis Freitag lebt der Bub, der sich tapfer gegen den Feind in seinem Körper stemmt, mit seiner Mutter im Preyerschen Kinderspital – einer in Österreich einzigartigen Station.
Sie erfüllt zwei Aufgaben gleichzeitig: Im Notfall kann Nico sofort intensiv versorgt werden. Droht keine Gefahr, kann er mit dem geschulten Personal damit beginnen, seine Wahrnehmung, seine Motorik und seiner Ausdrucksmöglichkeit verbessern.
„Im Laufe der Zeit baut sich selbstverständlich eine Beziehung auf“, erzählt die diplomierte Krankenschwester. „Wir wissen viel voneinander.“ Nicos Mutter nickt, nicht glücklich, aber erleichtert. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir das alles ohne die Hilfe der Leute hier im Spital schaffen könnten.“ Die Leute hier bemühen sich auch um die Sorgen der Eltern. Silvia Tauchner betont: „Die ganze Familie läuft bei uns keinen Sprint, sie muss sich die eigenen Kräfte für einen Marathon einteilen.“
Menschliche Wärme
Vor mehr als hundert Jahren wurde das Preyersche Kinderspital mit der großzügigen Spende des Komponisten, Dirigenten und Kunstsammlers Gottfried Edler von Preyer eröffnet, vor zwei Jahren ist es in einen Neubau im Sozialmedizinischen Zentrum Süd (Kaiser-Franz-Josef-Spital) in Wien-Favoriten übersiedelt. Das neue Gebäude hat viele helle Gänge und großzügig angelegte Räume.
Freundlich ist auch der Umgang des Abteilungsvorstands mit seinen Mitarbeitern, den Patienten (von 0 bis 18) und ihren Eltern. Beim Anblick der High-Tech-Geräte in der Intensivstation, in der schon in der nächsten Sekunde um das Leben eines Kindes gerungen werden kann, bleibt Bernert bei seiner Prämisse: „Wir brauchen natürlich die gute Technik, aber ohne Empathie läuft hier gar nichts. Wir sind die Software, die die menschliche Interaktion ermöglicht.“
Gut 5000 „ambulante Kontakte“ wurden im Vorjahr gezählt. 31 Ärzte, 100 diplomierte Krankenpfleger, Medizinstudenten, Psychologen, Ergo- und Logopäden sowie Physiotherapeuten helfen zusammen – Frauen und Männer – alle auf Augenhöhe.
Wichtige Stütze im Team ist auch Yvonne Lechner, die seit einer halben Stunde mit der 13 Monate alten Ebra auf dem Boden des Therapieraums arbeitet. Ihr Job ist es, das Mädchen ständig zu motivieren. „Ihre Rumpfmuskulatur soll gekräftigt werden“, sagt Lechner. „Wir arbeiten daran, dass sich Ebra alleine aufrichten kann.“
Dass sie in der heutigen Einheit viel auf dem Boden zu tun hat, stört die erfahrene Therapeutin nicht. Das sei viel mehr die Voraussetzung, erklärt sie: „Es braucht zunächst Vertrauen, damit wir positiv miteinander arbeiten können.“ Die Chancen von Ebra stehen gut, dass sie sich mithilfe der Therapie schon bald alleine aufrichten kann.
Auch bei Nico gibt es erfreuliche Nachrichten: „Wir konnten schon viele Medikamente absetzen“, berichtet Primarius Bernert. Man könne keine Wunder vollbringen, aber man könne das Leben der Patienten und ihrer Angehörigen erleichtern. „Weil auch das Leben kranker Kinder ein Leben ist.“
Lesen Sie morgen über den aktuellen Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit.
Info-Abend: Ein Krankenhaus stellt sich vor
„Für mich war es berührend zu erleben, wie sehr inmitten all der Technik und dem Leid das gute und persönliche Gespräch seinen Platz hat“, erklärt die Wiener Fotografin und Interaktionsberaterin Irene Kernthaler-Moser.
Nach Übersiedlung des Preyerschen Kinderspitals in das neue Gebäude im Sozialmedizinischen Zentrum Süd erhielt Kernthaler-Moser die Chance, den Spitalsalltag mit ihrer Kamera festzuhalten. Soeben ist ihr Foto-Essay-Band mit dem Titel Arbeit. Interaktion. Heilung erschienen. Der Band enthält zahlreiche Momentaufnahmen von jenen Menschen, die im Kinderspital täglich das Menschenmögliche versuchen, und die bei denen, die sie behandeln, selten beachtet werden.
Für interessierte KURIER-Leser bieten Irene Kernthaler-Moser und Primarius Günther Bernert einen rund zweistündigen Info-Abend an. Nebenbei wird auch der Foto-Essay-Band zum Kauf angeboten. Die Teilnahme ist kostenlos, eine Anmeldung unbedingt erforderlich – unter: sonja.sadilek@wienkav.at. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 18. Oktober, 18 Uhr, statt. Treffpunkt: im Eingangsbereich zum Geriatriezentrum des KFJ-Spitals, 1100 Wien, Kundratstraße 3.
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