Witzigmanns Welt: Schokolade

Von furchterregenden Krampussen undhohlen Nikoläusen, von Bergbauernschokolade und Adelsgenüssen.

Von den Geheimnissen der Chocolatier-Kunst und von sinnlosen Schoko-Kreationen: ein Leben ohne Schokolade ist wie Champagner ohne Kohlensäure.
Mein erster Nikolaus hätte so schön sein können, wären da nicht die Krampusse gewesen. Diese Fellmonster mit ihren bizarren Fratzen jagten mir mit ihrem animalischen Gegrunze und ohrenbetäubenden Schellengeläute dermaßen Angst ein, dass ich mich unter dem Tisch verkroch. Als mir der Bischof zum Schluss ein Sackerl überreichte, war die Welt wieder in Ordnung. Neben den Mandarinen, Nüssen und getrockneten Feigen war es vor allem der Nikolo aus Schokolade, der mich diesen Schock schnell wieder vergessen ließ. Obwohl mein Onkel - wie später auch mein Cousin - in seiner Vorarlberger Bäckerei hohl ausgegossene Nikolausstiefel und Osterhasen aus Schokolade herstellte, war dieses Naschwerk nicht nur für mich damals etwas ganz Besonderes. Meine Eltern kannten noch Bergbauern, die ihre Schokolade selber machten, weil "echte" zu teuer war. "Eisschokolade" hieß sie und bestand aus einer Schnee gekühlten Mixtur aus Kokosfett, Grieszucker und Kakaopulver.
Christoph Columbus brachte die bei den Azteken als göttlich verehrte Kakaobohne eher widerwillig nach Europa mit. Er mochte den "abscheulich heißen und scharfen Geschmack" dieses Getränks namens "Xocolatl" nicht, das damals ungefähr wie ein doppelter Espresso mit Chili und Pfeffer geschmeckt haben muss. Die experimentierfreudigen Gourmets am spanischen Hof teilten diese Meinung zum Glück nicht. Sie verfeinerten das Kakaopulver mit Rohrzucker und bald darauf war die Gier des europäischen Adels nach diesem köstlichen Dopingmittel nicht mehr zu bremsen. Zur Freude der höfischen Zahnarzt-Gilde.
Die Sängerin Trude Herr ist wahrscheinlich das einzig weibliche Wesen, das allen Ernstes behauptet hat: "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann."

Aber ich gebe zu: Auch ich bin Schokoholic. Spätestens seit meiner Lehrzeit bei Paul Bocuse, als mich sein heutiger Schwiegersohn Jean-Jacques Bernachon, der 1975 einen Kuchentraum aus Schokolade für den französischen Staatspräsidenten Giscard D'Estaing kreierte, in die Geheimnisse der Chocolatier-Kunst einweihte. Ein Leben ohne Schokolade wäre für mich wie Champagner ohne Kohlensäure. Denken Sie an Nachspeisen wie Mousse au Chocolat, Mohr im Hemd, Sachertorte, Schokoladensoufflé, Brownies oder einfach nur an eine Tafel Schokolade mit knackigen Haselnüssen. Man kann die Liebe zum braunen Gold aber auch übertreiben. Zu Wild macht Schokolade durchaus Sinn, aber bei modernen Gerichten wie Seezunge oder Jakobsmuscheln mit Schokolade dreht sich mir der Magen um. Man muss Kreativität nicht mit der Brechstange erzwingen.
Meine Angst vor Krampussen habe ich übrigens recht schnell abgelegt. Dank der heißen Schokolade, mit der wir älteren Buben uns immer Mut antranken, ehe wir diese Hell's Angels von Bad Gastein mit vereisten Schneebällen von unseren Igluverstecken aus bewarfen. Am liebsten hätten die wütenden Kramperl uns mit ihren Ketten die Hintern versohlt, aber mit ihren gehörnten Dickschädeln konnten sie uns nicht aus unseren engen Schneelöchern holen.

Aus: FREIZEIT-Kurier vom 05.12.
Eckart Witzigmann widmet sich in seiner Kolummne im FREIZEIT-Kurier dem ganz (un)gewöhnlichen Küchen-Alltag.

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